Wer sich versichern möchte, dass wir wirklich in Europa sind, der schaue auf ein Preisschild, auf seinen Kontoauszug, in seine Geldbörse: Euro überall. Nicht nur bei uns in Österreich, auch in 18 weiteren EU-Ländern. Und im Kosovo – einem Staat, der irgendwie erst im Werden ist, aber seit Jahren den Euro als offizielles Zahlungsmittel verwendet. Denn der Euro hat Symbolkraft, er steht für wirtschaftlichen Zusammenhalt und für wirtschaftliche Stärke. Selbst dort, wo er politisch missbraucht wurde: Es darf bezweifelt werden, dass sich die anderen EU-Staaten so für eine Rettung des Beinahe-Pleitestaats Griechenland eingesetzt hätten, wenn sich die dortige Politik und Wirtschaft in Drachmen verschuldet hätten.

Es entspricht dem europäischen Selbstverständnis und den EU-Verträgen, was Jean-Claude Juncker am Mittwoch gesagt hat: Der Euro sollte in allen EU-Ländern eingeführt werden, und dieser Euroraum sollte sich mit dem Schengen-Raum decken. Das kann natürlich nur unter gewissen Voraussetzungen funktionieren, aber ebendiese Voraussetzungen gehören ebenfalls zum Selbstverständnis, zu dem sich auch die heute noch nicht zur Eurozone gehörenden EU-Mitglieder einmal bekannt haben: Einhaltung der Maastricht-Kriterien in der nationalen Haushaltspolitik und Sicherung der EU-Außengrenzen.

Aber dieses Selbstverständnis bröckelt – in Polen, Tschechien und Ungarn zum Beispiel, wo man Zloty, Kronen beziehungsweise Forint in der Geldbörse haben will, um sich der eigenen nationalen Identität zu versichern. Und um sich vor möglichen Folgen einer Stärkung der EU zu schützen: Wenn der Euro erst überall gilt, dann wird der Ruf nach einem Eurofinanzminister und einer gemeinschaftlich betriebenen (und vom EU-Parlament maßgeblich beeinflussten) EU-Wirtschaftspolitik laut werden. Dies zulasten der nationalen Parlamente, der nationalen Regierungen – und damit wohl auch des nationalen Verständnisses von Souveränität.

Aber sie stehen im Wahlkampf

Und in Österreich? Da waren die Reaktionen auf die Juncker-Rede durchwegs ablehnend. Dass die FPÖ keine Freude mit weiterer europäischer Integration hat, das hat man ja gewusst; in deren Reihen herrscht ja auch eine gewisse Nationalnostalgie und ein Schillingpatriotismus. Aber die anderen Parteien? Müssen Christian Kern und Sebastian Kurz, die doch so vieles trennt, ausgerechnet dann mit Heinz-Christian Strache einig sein, wenn es gegen ein stärkeres Europa geht?

Das müssen sie nicht. Aber sie stehen im Wahlkampf. Daher haben sie erst einmal viele Bedenken gegen eine Ausweitung der Eurozone angemeldet, sekundiert von ihren jeweiligen Sicherheitsministern, die sich eine Ausweitung der Schengen-Grenze "derzeit" nicht vorstellen können.

Dabei wäre ein mutiges Bekenntnis zu einer starken EU ein wichtiges Signal, gerade im Wahlkampf: Denn ein Europa, das sich weiterentwickelt zu mehr Gemeinsamkeit, ist eine durchaus attraktive Vision. Natürlich muss das ein Europa sein, das seine gemeinsam entwickelten Regeln auch in allen Mitgliedsstaaten durchsetzt. Es muss ein Europa sein, das mit einer gemeinsamen Finanzpolitik die großen Steuervermeider und Spekulanten zur Kasse bittet – und mit einer maßvollen Ausgabenpolitik die Währung stabil hält. Ein Europa schließlich, das durch Solidität und Solidarität Sicherheit schafft. Dazu sollten sich Parteien, die regieren wollen, bekennen können. (Conrad Seidl, 14.9.2017)