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Das dem Gott Apollo geweihte Orakel von Delphi bezog seine prophetische Kraft aus einer geologisch aktiven Verwerfung.

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Plymouth/Wien – Dass die alten Griechen ihr berühmtes Orakel von Delphi am Fuße des Berges Parnass am Golf von Korinth errichteten, hat Zeus persönlich zu verantworten. Der Göttervater fand – zumindest der klassischen Sage nach – an jener Stelle etwa 700 Meter über dem Meer, wo sich die Flüge zweier Adler gekreuzt hatten, den Nabel der Erdgöttin Gaia und damit gleichsam den Mittelpunkt der antiken Welt.

Archäologische Funde lassen jedoch den Schluss zu, dass die Stätte in Wahrheit bereits in präklassischer Zeit vor über 3.000 Jahren als Ort der Weissagung genutzt worden war – und eine wichtige Rolle dürften dabei die lokalen geologischen Gegebenheiten gespielten haben: Unter dem Apollo geweihten Orakel verbirgt sich eine tektonische Verwerfung, der eine heilige Quelle und ethylenhaltige Gase entströmten.

Inspirierende Gase

Diese Dämpfe haben der Tempelpriesterin Pythia, der einzigen Person, die das innerste Heiligtum betreten durfte, möglicherweise als "Inspiration" für ihre Prophezeiungen gedient. Aber war es Zufall, dass sich ausgerechnet hier ein religiöses Zentrum entwickelte, oder steckte System dahinter? Der britische Geologe Iain Stewart von der University of Plymouth und sein Team halten es für durchaus plausibel, dass die alten Griechen ihre Heiligtümer generell gerne auf geologisch aktivem Untergrund errichteten.

"Störungszonen, die durch seismische Aktivität in der Ägäis entstanden, haben vermutlich in der Vergangenheit einen speziellen kulturellen Status eingenommen", sagt Stewart. Auf den ersten Blick mögen durch Erdbeben gefährdete Orte nicht gerade ideal erscheinen. Doch nach Ansicht der Forscher ergaben sich aus diesen Umständen auch Vorteile: So entstanden etwa durch Erdbewegungen vertikale Verschiebungen und Plateaus, die sich besonders gut als natürliche Bollwerke gegen Feinde eigneten.

Bollwerk, Quellen und Zugänge zur Unterwelt

Ein gutes Beispiel dafür sei etwa Mykene, das auf zwei Seiten von hohen Kalksteinstufen einer Verwerfung geschützt wird. Auch das Hera-Heiligtum von Perachora am Golf von Korinth und der Tempel von Knidos in der heutigen Türkei wurden auf ähnlichen Bruchstufen errichtet.

Darüber hinaus sprudeln an geologisch aktiven Stellen häufig Quellen ans Licht, die für die Griechen eine rituelle oder therapeutische Bedeutung besaßen. Schließlich mochten auch Höhlen und Spalten eine Rolle gespielt haben, schreiben die Wissenschafter in den "Proceedings of the Geologists' Association". Derartige Kavernen wurden damals als Zugang zur Unterwelt betrachtet.

Für Steward sprechen alle zusammengetragenen Beispiele eindeutig dafür, dass die Vorteile, ein Heiligtum über einer Verwerfung zu errichten, für die alten Griechen die Gefahren überwogen. "Ich behaupte nicht, dass jede heilige Stätte auf einer geologischen Falte errichtet wurde", meint der Wissenschafter. "Aber die alten Griechen waren äußerst intelligente Menschen. Daher glaube ich, dass sie die große Bedeutung dieser Orte erkannten und entsprechend zu nutzen wussten." (Thomas Bergmayr, 14.9.2017)