Wien – Am Anfang ist Holbrecht am Ende. "Ich brauche einen Anwalt", sagt er vor der Tür von Friedrich Kronberg (Moritz Bleibtreu). Da ist er an der richtigen Stelle, denn der betreut schwierige Fälle, und ein solcher ist Holbrecht (Marcus Mittermeier) gewiss. Ein Mädchen habe er ermorden wollen, im Kino, das Messer hatte er schon gezückt, erzählt der Mann. Und noch mehr: Als verurteilter Kinderschänder saß er jahrelang hinter Gittern, obwohl er stets seine Unschuld beteuerte.

Sechs Fälle aus Ferdinand von Schirachs Erzählsammlung Schuld hat das ZDF mit Oliver Berben schon verfilmt, ab Freitag stehen jeweils um 21.15 Uhr weitere vier auf dem Programm.

Marcus Mittermeier richtet das Messer auf Maria Dragus.
Foto: ZDF

Wieder werden Grenzfälle des Justizsystems in 45 Minuten kompakt und schnörkellos erzählt, Fragen von Schuld und Moral verhandelt. Die erste Folge, Kinder, stellt die Konsequenzen vorschneller Urteile aus.

"Wir haben echt noch viel Zeit für Kinder", hatte Holbrechts Frau gesagt. Sie waren drei Jahre verheiratet, als das Drama begonnen hatte. Eines Morgens steht die Polizei vor der Tür: Haftbefehl, er soll ein Kind missbraucht haben. Holbrecht beteuert seine Unschuld, es nützt nichts, das Urteil ist gefällt.

Kronberg, übernehmen Sie!

"Hast du mich geheiratet, um besser an Kinder ranzukommen?", fragt seine Frau (Natalie Belitski), die Lehrerin an einer Grundschule ist. Fast vier Jahre sitzt Holbrecht im Gefängnis. Dort hat er viel mitmachen müssen, Kinderschänder sind selbst unter Schwerverbrechern Abschaum. Als er freikommt, verspürt er Rachegelüste, sucht aber stattdessen den Anwalt auf, mit der Bitte: Kronberg, übernehmen Sie!

In Anatomie (22. September) überfährt Samuel Schneider einen Sadisten, Josefine Preuß ringt in Das Cello (29. September) mit der Schuldfrage, in Familie (6. Oktober) nimmt Lars Eidinger Hilfe von dem ihm unbekannten Halbbruder Jürgen Vogel an.

Moritz Bleibtreu spielt den Anwalt Friedrich Kronberg.
Foto: ZDF

Deren Quotentauglichkeit ist erwiesen: Die Bücher des ehemaligen Rechtsanwalts und diesjährigen Redners bei den Salzburger Festspielen, von Schirach, sind Bestseller und kommen auch im Fernsehen an. Bereits vor Jahren produzierte Oliver Berben sechs Geschichten aus Verbrechen mit Josef Bierbichler.

Mit der Tonart trifft von Schirach den Nerv des Publikums, das derzeit für "echte" Fälle empfänglich scheint und sich ausgiebig mit "True Crime"-Geschichten versorgt. Netflix steht da mit akribisch recherchierten Dokumentationen an vorderer Linie, etwa Making A Murderer, Amanda Knox und zuletzt The Keepers. Fiction-Serien sind etwa vom US-Sender FX gefragt in American Crime Story mit The People vs. O. J. Simpson. 2018 wird dort der Mord an Modemacher Gianni Versace nachgestellt und danach Verbrechen während und nach Hurrikan Katrina.

Der ORF geht mit dem von Interspot produzierten Fokus Mord ab 2018 eher wieder zurück in die Ära Aktenzeichen XY ... ungelöst: In jeder der 45-minütigen Sendung wird ein in der Vergangenheit bereits geklärter Fall anonymisiert nachgestellt. Spezieller Aspekt: Die Besetzung besteht aus Jungschauspielern und Laiendarstellern. Regie führten Niki Sauer und Chris Raiber, der gemeinsam mit Berith Schistek, Karl Benedikter, Christoph Petrik, Regina Huber, Hannes Wirlinger und Ivo Schneider die Drehbücher schrieb. (Doris Priesching, 15.9.2017)