Gstättner: "... solang man ihnen das iPhone nicht wegnimmt!"

Foto: Isabella Gstättner

Was wir Zauberetui nennen, sei in Wahrheit ein Produkt von Apple, der bösesten aller Früchte, klärte uns das Zukunftswesen auf, die schuld an der Vertreibung des Menschengeschlechts aus dem Paradies sei. Der Apfel war der Anfang vom Ende, einst wie heute. Das Zauberetui heiße also in Wirklichkeit iPhone – genauso unsinnig geschrieben! Die abgerichteten Menschen von heute ließen alles, wirklich alles mit sich anstellen, solang man ihnen bloß ihre iPhones nicht wegnimmt! Noch so eine Weltrevolution, noch so ein Teufelspakt.

Er trage sich seit geraumer Zeit mit dem Gedanken, einen American Faust zu schreiben, erklärte uns mein Zukunftsdichter, bei dem sich überhaupt nicht mehr unterscheiden ließe, wer Faust und wer Mephistopheles ist, wahrscheinlich beide in einem. Für Gretchen gälte dasselbe! Faustisch. Diabolisch. Weiblich. Wells und ich schauten uns trotz allem, was wir bisher gehört und gesehen hatten, verwundert an. Was den Faust beträfe, sollte man uns ja wirklich nichts mehr vormachen können! Sein Faust hieße Steve Jobs, erklärte uns der Dichter der Zukunft. Schwarz wie der Tod sei sein Rollkragenpullover gewesen, wenn er langsam auf die dunkle Bühne schritt. Was diese Welt im Innersten zusammenhält, wollte auch Jobs wissen und außerdem natürlich Milliarden mit der Antwort auf diese Frage scheffeln, so machen's alle. Alle Wirkungskraft und Samen wollte Steve Jobs schauen. "Okay", schmunzelte Mephistopheles, "ich lasse dich drei revolutionäre Geräte in einem erfinden: ein Breitband-iPod mit Touchscreen, ein revolutionäres Mobiltelefon und ein bahnbrechendes Internet-Kommunikationsgerät. Das alles zusammen nennst du iPhone", kicherte Mephistopheles, "dafür gehört deine Seele mir. Dann mag die Totenglocke schallen, dann ist die Zeit für dich vorbei!" – "Abgemacht! Einverstanden!", jubelte Steve Jobs, "das ist der Deal." Lach nur, lach, eitler Weltaff'!

American Faust, ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft, erfand den portable Miniaturcomputer für jedermann im eleganten Design. Dünn. Leicht. Bunt. Hochauflösend. Teuer. American Faust erfand das Sprachsteuerprogramm Siri und den Fingerabdruckscanner. American Faust machte es möglich, dass jedermann "per App" "checken" kann, "was Sache ist". American Faust hat es geschafft, dass jedes Lebewesen auf der Welt sein Leben lang ununterbrochen erreichbar ist und das seelenzerfressende Gefühl hat, das Entscheidende zu verpassen. Davon kommen Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Depressionen, unterbrochen von Anfällen wilder Gier. American Fausts winzig kleine Zauberfrankensteine sparen jede Menge Papier, mit denen eine Flut unsinniger Bücher gemacht werden, die keiner kauft und niemand liest. American Fausts Zauberfrankensteine können natürlich Leben retten, das stimmt. Aber auf ein gerettetes Leben kommen tausend zerstörte. American Fausts winzig kleine Zauberfrankensteine haben die Fotografie verändert.

Jedermann kann immer überall Fotos machen und posten und jedermann auf der ganzen Welt verschicken, vor allem Selfies, Bilder von sich selbst, Alter Egos. Alter Egomanie. American Faust, ein guter Mensch in seinem dunklen Drange, schaffte es, dass jeder Ehemann hinter dem Rücken seiner Ehefrau jederzeit unbemerkt für seine Liebhaberin erreichbar war, jede Ehefrau hinter dem Rücken ihres Ehemanns erreichbar für ihren Liebhaber: ich schaue Dir aufs Display, Kleines! ich schicke Dir ein Küsschen! ein Herzchen, ein pochendes blutrotes Herz! Es war der Apfelmann ... Wer kann schon widerstehen, wenn die Verlockung allgegenwärtig ist? Wer denkt da noch an Heim und Kind? Grau, lieber Freund, ist der Anzug meines grauenhaften Mannes, doch grün deine goldenen Worte auf Whatsapp! Das große Glück! Alle Wirkungskraft und Samen! Man lebt nur einmal, was man hat, das ist nichts wert! Genug ist nicht genug!

Cyber-Selfie-Brüste

American Faust erfand das ideale Spielzeug für das Verbotene, für das Spiel mit dem Feuer. Immer weiter, immer unbarmherziger frisst sich das Mögliche in das Wirkliche hinein. Oh übergroße Lust! Von überall und rund um die Uhr kann die Gattin dem Liebhaber jetzt geheime Botschaften schicken, Bilder schicken, Selfies, so wie Gott sie schuf, und Gott, der böse Demiurg, hat sie wie einen Apfel geschaffen, knackig, zum Hineinbeißen! American Faust hat es geschafft, dass sich das Gretchen der Zukunft vor der Selfie-Funktion der Handykamera eine Blöße gibt, und das mit der allergrößten Lust, American Faust hat es geschafft, dass sich das Gretchen der Zukunft nicht mehr für ihre animalischen Instinkte geniert, für das gefräßige Monster in ihr, wenn ihr geheimer Liebhaber ihr zum Dank für Gretchens Cyber-Selfie-Brüste ein Selfie seines Zauberstabs ins Zauberetui zurückschickt, man "tauscht sich aus".

"So! Jetzt die Totenglocke!", lachte Mephistopheles schallend und genehmigte sich die Seele von American Faust. Der Geist, der stets verneint, schickte ihm ein Krebsleiden und ließ ihn mit 56 Jahren sterben, er zupfte ihn, denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht. Brüderl, komm! Mach keine Umständ', geh! Da legt er seinen Apfel hin und sagt der Welt ade! Und das vorläufige Endergebnis ist eine nie versiegende dramatische Zunahme von Teufelszeug. (Egyd Gstättner, Album, 17.9.2017)