Teodor Currentzis polarisiert: derzeit mit Mozarts Requiem.

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Wien – Ob da wohl jemand Vorahnungen hatte? Zu Beginn des Eröffnungskonzerts begrüßte Matthias Naske das Publikum. In der vergangenen Saison seien hier 902 Konzerte veranstaltet worden, erklärte der Konzerthaus-Chef, "viele davon waren künstlerisch wertvoll". Jenes, das folgen sollte, war es nur bedingt. Denn Daniel Harding deutete Mahlers sechste Symphonie vorrangig als dröhnende, stampfende Militärparade. Drei Viertel des Werkes bekam man wie mit einem Megafon ins Ohr geplärrt, von einem sadistisch veranlagten Drill-Sergeant.

Ja: Kapazitäten der Musikwissenschaft meinen, dass Mahler in dem düsteren Werk schon die Schrecknisse des Ersten Weltkriegs vorausgeahnt habe. Und, ja: Erst freute man sich eh, dass die gern zur Weichzeichnung neigenden Wiener Philharmoniker den Kopfsatz richtig brutal angingen: voll aggro, Mann! Als aber auch das schwelgerische Alma-Thema hart und ohne Rundungen präsentiert wurde, meldeten sich erste Zweifel an.

Martialische Materialschlacht

Was folgte, war kaum mehr als eine martialische Materialschlacht, in der alle feinen Bizarrerien plattgemacht wurden. Harding schaffte es, dass der Wiener Klangkörper hauptsächlich überlaut und straff spielte. Unter der Leitung des 42-Jährigen klang die Sechste wie Filmmusik für einen Weltuntergangsblockbuster von Roland Emmerich. Ein Kunststück, dass nicht eine einzige Präsentation des Schicksalsmotivs, also des Verblassens des grellen A-Dur-Akkords nach a-Moll, von mahnender Kraft war. Der eintönige Gewaltaufmarsch fand unter freudvollem Getöse des Publikums sein Ende.

Tags darauf gab es dann am selben Ort ein Ausnahmeereignis. Dirigent Teodor Currentzis, der manchen als Scharlatan, anderen aber als Genie gilt, war mit seinem Orchester Music Aeterna und dem gleichnamigen Chor zu Gast. Hatte er schon bei den Salzburger Festspielen mit seiner aufwühlenden Interpretation von Mozarts Requiem für Furore, aber auch vereinzelte Ablehnung gesorgt, so wiederholte sich das in Wien, wobei ihm die Spannung im Saal und der Schlussapplaus (sowie die langanhaltende, gespannte Stille davor) recht gaben.

Urwüchsiges Musizieren

Erkenntnisse der historisch informierten Aufführungspraxis waren die selbstverständliche Grundlage für ein urwüchsiges Musizieren, das Mozarts Abgründe und Schroffheiten, die pulsierende Energie, aber auch Lyrisches und Liebliches neu belebte.

Das wäre wahrlich schon abendfüllend gewesen, doch bestritten Chor und Dirigent davor noch eine weit ausholende Programmhälfte mit Musik von Hildegard von Bingen bis Strawinski, Schnittke, Pärt und Ligeti – all dies mit einer Eindringlichkeit und Stimmkultur, die so manche andere Formationen blass aussehen ließen.

Currentzis zeigte sich als Meister des von der Stimme inspirierten Flusses und ebenso als Meister atmender Phrasierung. Unglaublich dann, wie der Chor bei Purcells Remember not, Lord, our offences individuell verteilt auf der Bühne stand und – ganz ohne Dirigent, aber in dessen Geiste – homogen klang und dabei Ausdruck und Fluss der Musik durch Gesten unterstrich. Allein dieser Moment glich einem Wunder. (sten/daen, 15.9.2017)