Geht nicht, woll ma net, brauch ma nicht. So fielen – auf gut Wienerisch – die ersten Reaktionen auf die "Ruck"-Rede von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zur Lage der Union Mittwoch im EU-Parlament aus – nicht nur in Österreich, sondern auch in einigen anderen Mitgliedstaaten, voran Deutschland. Kein Zufall: Dort liegen wegen der baldigen Bundeswahlen die Nerven etwas blank.

Da will man politisch nur nicht allzu mutig in die (weitere) Zukunft blicken, schon gar nicht bei so "heißen" politischen Themen wie der Erweiterung der Eurozone auf möglichst alle EU-Staaten, sprich Osteuropäer. Gleiches gilt – von Juncker auch gefordert – bei der im Prinzip seit langem fixierten Hereinnahme von Bulgarien und Rumänien in einen Binnenraum ohne Grenzkontrollen. Beide Staaten erfüllen die Schengen-Kriterien.

Egal ob von Regierungsseite oder aus der Opposition – das Muster der Ablehnung war ähnlich: "Bitte jetzt keine Experimente!" Was viele nicht sagten, aber stillschweigend und vorurteilsbehaftet meinten: Bitte keine Osteuropäer ins alte Kerneuropa!

Andere Diagnosen

Zwei Tage später fielen die Diagnosen nach dem Abgleichen der Juncker-Ideen mit EU-Verträgen samt Zusatzvereinbarungen schon etwas anders aus. Kein Geringerer als der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble, der härteste aller Zuchtmeister für strenge Stabilitätspolitik in der Eurozone, brach eine Lanze für den Kommissionschef und dessen Absicht, Euro-Vorbeitrittshilfen zu geben.

Dieser habe eigentlich nichts anderes getan, als an das zu erinnern, was Sinn und Zweck der Verträge – konkret der in Maastricht 1991 vereinbarten Währungsunion – ist: am Ende eine politische und wirtschaftliche Union zu schaffen, der alle EU-Staaten angehören. Betonung auf "alle". Eine festgeschriebene Ausnahme davon gibt es nur für Dänemark und Großbritannien, das die Gemeinschaft im März 2019 verlassen wird.

Der fiskalisch nicht weniger strenge Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem erklärte die Aufnahme weiterer Mitglieder in die Eurozone zur "Parallelaktion" bei der Vertiefung, weil an den Regeln und Aufnahmekriterien für den Euro auch null geändert werde. Diese Klarstellungen waren nötig und konstruktiv, und der Ort, an dem sie stattfanden – die estnische Hauptstadt Tallinn – mag dabei geholfen haben.

Estland ist als 17. Mitgliedsland erst Anfang 2011 der Eurozone beigetreten, mitten in der größten Krise, so wie Lettland 2014, Litauen 2015; oder die österreichischen Nachbarn Slowenien und die Slowakei 2007 bzw. 2009.

Die Erweiterung von Euroland nach Ost- und Ostmitteleuropa hat also seit dem Start durch zwölf Staaten im Jahr 2002 in Wahrheit nie aufgehört.

Andere Wahrheit

Eine andere Wahrheit, die Juncker erfreulich klar ausgesprochen hat, ist, dass der Euro nach wie vor das zentrale Projekt der Gemeinschaft ist und bleibt, mit einem vorrangigen Ziel: gemeinsam stark und solidarisch zu sein; diesem brüchigen, von politischen Extremisten nach wie vor bedrohten Kontinent Stabilität zu geben.

Die EU ist kein Spaltprojekt, sie soll die Staaten zusammenführen. Ohne Hilfen der Partnerländer wäre Griechenland zusammengebrochen. Für die Polen oder Ungarn könnte der Euro ein Anreiz sein, zur Besinnung zu kommen, ihre nationalistischen Anführer, die den Rechtsstaat mit Füßen treten, eines Tages wieder abzuwählen. Die leisen Töne Junckers, sein Optimismus, könnten dabei helfen. (Thomas Mayer, 15.9.2017)