Der Steirische Herbst, der sich erfolgreich immer wieder selbst erfand, feiert sein 50. Jahr. In seiner grandiosen Festrede ging Komponist Haas auch auf die belastende Geschichte seiner Familie ein.

Foto: Heimo Binder

Graz – Graz zeigte sich am Donnerstagabend von einer seiner schönsten Seiten. Das Land Steiermark hatte in die punschkrapfenrosafarbenen Prunkräume der Alten Universität geladen. Der 50. Geburtstag des Mehrspartenfestivals Steirischer Herbst war Grund für einen Festakt. Die Gastgeber, Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer und Bürgermeister Siegfried Nagl (beide ÖVP), lobten die innovative Kraft des Festivals und bedankten sich bei der mit zwölf Jahren bisher längstdienenden Intendantin, Veronica Kaup-Hasler, die in einer Woche ihren letzten "Herbst" eröffnen wird. 2018 wird die Russin Ekaterina Degot übernehmen.

Nagl schenkte Kaup-Hasler zum Abschied statt Blumen einen Bund Karotten und Gutscheine für den von ihr so geliebten Markt am Kaiser-Josef-Platz. Dazwischen gab es Musik von der gebürtigen Grazerin Dorit Chrysler und ihrem Theremin.

Verklärte Anekdoten

Schützenhöfer erinnerte sich in verklärten Anekdoten an den zur Legende aufgestiegenen ÖVP-Kulturpolitiker und Herbst-Initiator Hanns Koren, mit dem er als Jungpolitiker Frittatensuppe und Weißwein trinken durfte. Koren ist in der Steiermark Sinnbild für die aufgeklärte, liberale ÖVP von damals. Eine ÖVP, die auch in der Person des Landeshauptmannes Josef Krainer junior junge Kunst verteidigte und förderte. Koren ist ein Mythos. Genauso wie die Geschichte um die Entstehung dieses Festivals, das die Universitätsstadt auch in der internationalen Kunstszene bekannt machte. Koren, so beschrieb es Schützenhöfer wörtlich, breitete über die angefeindeten jungen Künstler, unter denen etwa Peter Handke oder Wolfgang Bauer zu finden waren, "schützend seinen Wetterfleck".

Dann kam Georg Friedrich Haas. Haas, einer der renommiertesten Komponisten und Vertreter Neuer Musik, der an der Columbia University in New York lehrt, ist gebürtiger Grazer. Der Titel der Rede dürfte wenig Argwohn bei den geladenen Festgästen ausgelöst haben: "Steirischer Herbst – oder warum Europas ältestes Festival für neue Kunst ausgerechnet in der Steiermark stattfinden muss".

Das Warum sollte Haas dann in einer wirklich grandiosen Rede erklären. Der Mann kommt aus keiner unbekannten Familie. Sein Großvater war der Architekt Fritz Haas, dessen Bauten teilweise unter Denkmalschutz stehen. Und er war ein Nazi, wie Haas, der erst seit kurzem öffentlich über die Vergangenheit seiner Familie spricht, das bis zu diesem Zeitpunkt noch heitere, bald gefesselte Auditorium wissen ließ. Er war schon vor dem Anschluss 1938 überzeugter Nazi und genauso nach 1945. Ebenso sein Sohn, der Vater des Komponisten. Den 8. Mai 1945 empfand die Familie als "Tag der Niederlage", als "Zusammenbruch", sie selbst verstanden sich als Verfolgte. So wuchs Haas auf. Die Musik von György Ligeti und John Cage ließ ihn aus dieser Geisteswelt ausbrechen. Er ersetzte den von der Familie hochgehaltenen SS-Satz "Unsere Ehre heißt Treue" mit seinem: "Aber meine Ehre heißt Wahrheit."

"Die Toten hinter mir"

ÖVP-Kulturlandesrat Christopher Drexler, selbst einer, der dem liberalen Lager seiner Partei zugerechnet wird, hatte noch kurz zuvor gemeint, Kunst dürfe alles, und "ich sehne ich mich nach Auseinandersetzung und Provokation". Ob die Rede von Haas eine Provokation für manchen Anwesenden war, kann nur erahnt werden. Jedenfalls sagte der Musiker dann auch, was seiner Meinung nach der wahre Grund für die Gründung des Festivals war: 1963 hatte ein schlechter Dichter namens Joseph Papesch – wegen, nicht trotz seiner NS-Vergangenheit, wie Haas betonte – den Peter-Rosegger-Literaturpreis des Landes bekommen, um Nazis am Rande der ÖVP ein positives Signal zu schicken. In der Jury, die den Preis vergab, saß auch Koren, erinnerte Haas in die absolute Stille des Saales hinein. Die Gründung des Festivals wenige Jahre danach, so ist sich Haas sicher, war eine Art Wiedergutmachung.

"Wenn ich komponiere, stehen die Toten hinter mir", so Haas weiter über den Einfluss, den die Toten, die seine Vorfahren während der NS-Zeit verschuldeten, bis heute auf seine Kunst haben. Dass gerade österreichische Künstler stärker "Aspekte des Extremen, des Gewaltsamen, des Dunklen" in ihrer Kunst behandelten als etwa Deutsche oder Amerikaner, leitete er eindrucksvoll her.

Von manchen gab es dafür Bravorufe und stehende Ovationen, wenige klatschten gar nicht.

Der Landeshauptmann bedankte sich, sichtlich aufgewühlt, für das, "was Sie gesagt haben". Dann gab es Weißwein. (Colette M. Schmidt, 15.9.2017)