Flüchtlingslager Balukhali in Bangladesch

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Berlin – Die Regierung von Bangladesch hat die Bewegungsfreiheit der mehr als 400.000 Rohingya-Flüchtlinge aus dem Nachbarland Myanmar eingeschränkt. Eine Polizeisprecherin erklärte am Samstag, die Flüchtlinge müssten in den von der Regierung ausgewiesenen Lagern bleiben, "bis sie in ihr Land zurückkehren". "Sie können nicht über die Straßen, Schienen oder auf dem Wasser von einem Ort zum anderen reisen."

Die Flüchtlinge seien aufgefordert worden, nicht in Häusern von Verwandten oder Freunden zu wohnen, und die Bevölkerung solle keine Flüchtlinge bei sich aufnehmen. Auch Bus- und Lastwagenfahrer sollten keine Rohingya mitnehmen.

Die Polizei richtete Kontrollpunkte an Straßen ein. Nachdem bereits dutzende Flüchtlinge in mehreren Städten fernab der Grenze gesehen wurden, fürchten die Behörden, dass sich Tausende neu ankommende Rohingya überall im ohnehin bitterarmen Bangladesch niederlassen.

Zahl der Flüchtlinge steigt über 400.000

Die Vereinten Nationen hatten zuvor mitgeteilt, dass die Zahl der aus Myanmar geflohenen Rohingya auf mehr als 400.000 gestiegen sei. Ein Sprecher des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) sagte am Samstag, alleine in den vorangangenen 24 Stunden hätten rund 18.000 Angehörige der Rohingya-Minderheit die Grenze nach Bangladesch überquert.

Die muslimischen Rohingya gelten in Myanmar als staatenlos. Der seit Jahren andauernde Konflikt im myanmarischen Teilstaat Rakhine war Ende August eskaliert, als Rohingya-Rebellen Soldaten und Polizisten angriffen und dutzende Sicherheitskräfte töteten. Das Militär reagierte mit brutaler Gegengewalt. Hunderte Menschen wurden getötet, ihre Häuser niedergebrannt.

Kritik an Regierungschefin

Die myanmarische De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi wird international wegen ihres Schweigens zu den Geschehnissen kritisiert. Die Politikerin, die 1991 den Friedensnobelpreis für den gewaltlosen Widerstand gegen die jahrzehntelange Militärdiktatur in ihrer Heimat erhielt, sagte eine Reise zur Generaldebatte der UNO-Vollversammlung kommende Woche ab. Für Dienstag hat sie eine Rede angekündigt. Die bangladeschische Regierungschefin Sheikh Hasina brach ihrerseits nach New York auf. Sie will nach Angaben eines Sprechers am Dienstag an die UNO-Vollversammlung appellieren, ihrem Land Hilfe bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise zu leisten.

Hollywood-Star Angelina Jolie kritisierte San Suu Kyi in der deutschen Zeitung "Welt am Sonntag": "Ich glaube, dass jetzt der Moment gekommen ist, an dem man nicht schweigen kann." Sie wünsche sich, dass Suu Kyi "in dieser Situation die Stimme der Menschenrechte ist". Die US-Schauspielerin ist UNHCR-Sonderbotschafterin.

Organisationen warnen vor humanitärer Krise

Internationale Organisationen und NGOs warnen vor einer humanitären Krise in Myanmar und Bangladesch. Die andauernde Gewalt in Myanmar habe die Situation zu einer der "am schnellsten wachsenden Flüchtlingskrisen der vergangenen Jahre" gemacht, schrieb die Internationale Organisation für Migration (IOM).

Die Flucht von inzwischen Hunderttausenden Menschen begann am 25. August, als das myanmarische Militär nach Angriffen von Rebellen der muslimischen Rohingya-Minderheit auf Polizei- und Militärposten mit Razzien im Teilstaat Rakhine begann. Rakhine grenzt an Bangladesch. Die Rohingya werden von Myanmar nicht als Staatsbürger anerkannt. In dem Vielvölkerstaat ist die große Mehrheit der Bevölkerung buddhistischen Glaubens.

"Es ist zum Verzweifeln. Das ist eine der größten menschengemachten Krisen und Massenfluchten in der Region seit Jahrzehnten", sagte Martin Faller, stellvertretender Regionaldirektor des Roten Kreuzes. Das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF warnte insbesondere davor, dass sechs von zehn Geflüchteten Kinder seien. 36.000 von ihnen seien Babys unter einem Jahr, hinzu kämen mehrere Zehntausend schwangere Frauen.

Hochwasser gefährdet Camps

Die meisten Geflüchteten leben in notdürftig errichteten Lagern entlang einer Hauptstraße, die aus Myanmar nach Bangladesch kommt. Die Gegend sei jüngst von Überflutungen betroffen gewesen und "nicht in der Lage, mit einer großen Anzahl von Neuankommenden zurecht zu kommen", sagte ein Sprecher des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR). "Es wird sofortige Nahrungsmittelhilfe benötigt", heißt es in einem UNO-Bericht über die derzeitige Lage.

"Sie schossen zuerst und alle begannen, aus ihren Häusern zu rennen", sagte eine Geflüchtete der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zufolge. Ein Augenzeuge beschrieb in der "Washington Post", dass Soldaten einem 80 Jahre alten Mann, der nicht schnell genug fliehen konnte, die Kehle durchgeschnitten hätten. "Ich kann (die Toten) nicht zählen", sagte ein anderer Augenzeuge dem Blatt. "Sie haben einen nach dem anderen geschlachtet. Blut floss durch die Straßen." Überlebende berichteten, dass ganze Dörfer der Rohingya niedergebrannt wurden.

Internationale Beobachter haben wiederholt das Schweigen von Myanmars De-facto-Staatschefin Aung San Suu Kyi kritisiert. "Ich würde erwarten, dass die Staatschefin (die Gewalt) unter Kontrolle bringen könnte und in der Lage wäre, die Situation umzukehren", sagte UNO-Generalsekretär Antonio Guterres am Sonntag dem britischen Sender BBC. "Sie hat eine Chance, eine letzte Chance, dies zu tun." Es sei aber klar, dass das Militär, welches Myanmar jahrzehntelang diktatorisch regiert hatte, "weiter die Oberhand" in dem Land habe, sagte Guterres weiter.

Einige Kommentatoren weisen darauf hin, dass die buddhistische Bevölkerungsmehrheit in Myanmar mit der Gewalt gegen die muslimische Rohingya-Minderheit einverstanden ist. Ein nicht namentlich genannter Diplomat sagte der britischen Zeitung "The Guardian", auch Suu Kyi fühle sich durch die Rohingya angegriffen und "verteidigt ihr Land". APA, 17.9.2017)