Die Aussage, dass es zwischen der RAF und dem IS Parallelen gebe, hat ebenso viel Erkenntnisgehalt wie die Aussage, dass Hunde und Kamele Säugetiere seien.

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Erst mit Verwunderung, dann mit Ärger und schließlich mit Entsetzen habe ich den Artikel "Es gibt Parallelen zwischen der RAF und dem IS" der Deutschland-Korrespondentin Birgit Baumann im Druck-STANDARD vom 9. September gelesen. Dort wird anlässlich des 40. Jahrestags des Deutschen Herbsts der Extremismusexperte Eckhard Jesse mit ebendiesen Worten zitiert.

Als Begründung für diese Behauptung wird angeführt, dass sowohl die "Rote Armee Fraktion" als auch die muslimische Terrororganisation "Islamischer Staat" darauf abzielen, "dass der Staat überreagiere", und beiden sei zudem gemeinsam, dass sie mit den Medien spielen.

Zwei Elemente

Was hier als scheinbare Parallele ausgegeben wird, sollte jedoch kaum verwundern. Denn damit werden lediglich zwei Elemente genannt, die zur Definition des modernen Terrorismus gehören: Provokation der Staatsgewalt und mediale Inszenierung. Die Aussage, dass es zwischen der RAF und dem IS Parallelen gebe, hat daher ebenso viel Erkenntnisgehalt wie die Aussage, dass Hunde und Kamele Säugetiere seien. Man lernt doch nie aus!

Doch es gebe auch Unterschiede, so werden wir belehrt. Denn bei "der RAF gab es keine Selbstmordattentäter", und die RAF habe es "gezielt auf Repräsentanten des Staates und der Wirtschaft abgesehen" – "wenngleich", so wird sofort wieder relativiert, "der Tod von Unbeteiligten in Kauf genommen wurde". Also sind die RAF und der IS doch mehr oder weniger dasselbe? Es sieht ganz so aus; jede weitere Differenzierung oder auch nur der Ansatz dazu: Fehlanzeige.

Auf den Punkt

Vielmehr wird noch der deutsche Innenminister Thomas de Maizière mit den Worten zitiert: "Beiden gemeinsam sind die blinde Entschlossenheit, die Selbstermächtigung zur Gewaltausübung und die Existenz einer Unterstützerszene." Endlich bringt es mal einer auf den Punkt. Sind wir doch bisher immer davon ausgegangen, Terroristen seien zögerliche, von Skrupeln getrieben Grübler, die jede Form von Gewalt ablehnen und die mit ihrer Handlungsunfähigkeit auch noch den letzten potenziellen Unterstützer vor den Kopf stoßen.

Damit lässt der Artikel eigentlich nur zwei Schlussfolgerungen zu: Entweder enthält er nichts weiter als Banalitäten und Plattitüden. Doch wozu dann all die Mühe? Oder es geht überhaupt nicht um einen historischen Rückblick auf die Ereignisse des Deutschen Herbsts 1977 und eine Analyse extremistischer Tendenzen damals und heute, sondern vielmehr um die gezielte Gleichsetzung von RAF und IS.

So gesehen scheint sich der Artikel einer zentralen Strategie der Neuen Rechten beziehungsweise der Alt-Right zu bedienen – mit einem Unterschied: Gleichgesetzt werden nicht Links- und Rechtsextremismus, sondern Linksextremismus und terroristischer Islamismus. Damit wird insinuiert, dass der Linksextremismus mindestens ebenso gefährlich wie der islamistische Terrorismus sei und folglich, so die scheinbar logische Konsequenz, allemal schlimmer als der Rechtsextremismus.

Dahinter verbergen sich zwei Gedankenfiguren: Durch die Gleichsetzung von RAF und IS werden sowohl der Islam als Religion als auch linke Politik als potenziell extremistisch diffamiert, während rechtsextremes und rassistisches Gedankengut verharmlost und salonfähig gemacht wird.

Trump und Charlottesville

Jüngstes Beispiel für diese politische Agenda sind Donald Trumps Äußerungen zu den Ereignissen von Charlottesville und seine Gleichsetzung von weißen Rassisten und Neonazis mit linken Gegendemonstranten. Dazu passt auch, dass der im Artikel zitierte Extremismusexperte Eckhard Jesse im Umfeld der Neuen Rechten verortet wird und ein Extremismuskonzept entwickelt hat, das gerade diese Gleichsetzung erlaubt (siehe den Wikipedia-Eintrag zu Eckhard Jesse).

Entscheidend ist dabei jeweils die dahinterstehende politische Agenda: Erklärtes Ziel der Neuen Rechten ist es, an den politischen Diskurs der demokratischen Parteien anzuschließen und diesen sukzessive zu unterwandern. So haben sich die rechtextremen österreichischen Identitären selbst dafür gelobt, den von der damaligen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner während der Flüchtlingskrise 2015 verwendeten Ausdruck "Festung Europa" (der auf den Nationalsozialismus zurückgeht) als Erste wieder in den offiziellen Diskurs eingeführt zu haben.

Neurechter Diskurs

Dass derartige rhetorische Muster und Argumentationsstrategien nun auch ihren Einzug in den österreichischen Qualitätsjournalismus gefunden haben, sollte zu denken geben – gerade auch wenn es sich dabei weniger um eine beabsichtigte rhetorische Strategie, sondern um die unkritische Fortschreibung eines umfassend von neurechten Akteuren vergifteten politischen Diskurses handelt. (Gerald Posselt, 17.9.2017)