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Die beiden Spitzenkandidaten, abgelichtet auf Plakaten in einer regnerischen Frankfurter Nacht Mitte September.

Foto: Kai Pfaffenbach / Reuters

Der SPD-Herausforderer ist genervt. Er reißt sich beide Haxn aus, doch der Abstand zur Union von Angela Merkel wird und wird nicht kleiner. Das Kanzleramt rückt in immer weitere Ferne für ihn, und irgendwann reicht es ihm: Er zeigt Deutschland den Stinkefinger.

Nein, es ist nicht vom aktuellen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz die Rede, sondern von seinem ebenso glücklosen Vorgänger, Peer Steinbrück. Der ehemalige deutsche Finanzminister scheiterte 2013 gegen Merkel, und irgendwann vor der Wahl war ihm alles egal, er ließ sich für das Magazin der Süddeutschen Zeitung mit hämischem Grinsen und ausgefahrenem Mittelfinger ablichten.

Man ahnt, dass Schulz auch nahe an diesem Moment ist. Manchmal lacht er auf Fragen nur noch, manchmal äußert er so merkwürdige Ansichten wie: Frau Merkel könne gern unter ihm in einer großen Koalition Vizekanzlerin Deutschlands werden. Bei allem Verständnis für seine Lage, Schulz' Verhalten ist gelegentlich sehr irritierend.

Eine Woche ist es jetzt noch bis zur Wahl, und man kann nur hoffen, dass er durchhält und seinen Auftrag mit Anstand zu Ende bringt. Umfragen sind keine Wahlergebnisse, schon klar. Aber derzeit gibt es kein Institut, das für Schulz auch nur den Hauch einer Chance auf das Kanzleramt sieht. Die SPD wird nicht stärkste Kraft und kann somit der Union gar nicht den Juniorpart in einer großen Koalition anbieten. Rot-Rot-Grün – übrigens seit 2013 rechnerisch möglich – ist wohl nach dem 24. September auch nicht mehr drin.

Schulz kann sich nicht so einfach verabschieden

Schulz ist also in einer noch schwierigeren Lage als damals Steinbrück – nicht nur, weil er gar keine Koalition zustande bringen dürfte. Bei Steinbrück war klar: Wird er nicht Kanzler, dann ist er weg vom Berliner Fenster und widmet sich als Privatier seinen Vorträgen. Er war ja "nur" Kanzlerkandidat, ein Ministeramt war ihm zu gering, und die Genossen haben ihn ohnehin nicht besonders gern gemocht.

Schulz kann sich nach dem 24. September nicht so einfach verabschieden. Er ist auch noch SPD-Vorsitzender, und zwar jener, der im März mit 100 Prozent Zustimmung gewählt wurde. Damit wurde ihm eine große Verpflichtung auferlegt, und bei Parteivorsitzenden und ihren Mitgliedern gilt, woran auch bei der kirchlichen Eheschließung erinnert wird: in guten wie in schlechten Zeiten.

Es heißt für Schulz auf der Zielgeraden also tatsächlich: weiterkämpfen bis zur letzten Minute. Paradoxerweise hat er damit etwas mit Merkel, von der er sich so gern unterscheiden möchte, gemein. Auch sie darf bis zum Sonntag nicht nachlassen, aber aus anderen Gründen.

Zu große Siegesgewissheit und Selbstsicherheit nach dem Motto "die Wiesn vor dem Kanzleramt is eh scho g'mahd" kommt natürlich nicht gut an, könnte ihr als Arroganz ausgelegt werden und sie ebenso Stimmen kosten wie die vermeintliche Gewissheit mancher Wähler, die da lautet: Merkel gewinnt sowieso, da brauche ich gar nicht mehr zur Wahl gehen.

Nummer eins wird Merkel am 24. September nach menschlichem Ermessen werden. Das ist erfreulich für sie, zumal der Abstand zu den Sozialdemokraten kein knapper sein wird. Aber sie wird wohl auch nicht die absolute Mehrheit bekommen, sondern für ihre vierte Amtszeit einen Koalitionspartner brauchen. Und da kommt es dann beim Ergebnis doch noch mal auf die letzten Meter an. (Birgit Baumann, 17.9.2017)