Sprachfetzenvirtuosität bot in Ellmau die Vokalartistin Joan Le Barbara – und erinnerte damit an die besten Zeiten der wilden Avantgarde.


Foto: Aleksandar Kostic

Schwaz/Innsbruck – Going: Das Wort könnte fast ein onomatopoetischer Werktitel der Komponistin Olga Neuwirth sein. Going ist jedoch auch eine Gemeinde am Wilden Kaiser im Bezirk Kitzbühel, die es unter dem Titel "Bergdoktordorf" zu einiger Berühmtheit gebracht hat. "We're going to Going", witzelte Klangspuren-Intendant Matthias Osterwold am Beginn der Pilgerwanderung, jenem Fixpunkt des Tiroler Festivals für neue Musik, der seit nunmehr elf Jahren jeweils einen anderen Abschnitt des Jakobswegs entlangführt und bei dem es diesmal von St. Johann in Tirol nach Bruckhäusl nahe Wörgl ging: mehr als zwanzig Kilometer und einen ganzen Sonntag lang mit sechs kleineren und größeren Konzertstationen.

Klischees aufzeigen

Dass hier die malerische Landschaft mitunter auf recht brachiale touristische Kitsch-Architektur trifft, lässt sich auch im Sinne des Ansinnens verstehen, mit dem Osterwold angetreten ist: unter anderem eine Auseinandersetzung mit der regionalen Identität zu ermöglichen, Klischees und Konstruktionen aufzuzeigen.

Andererseits bewegte man sich mit "Jakobswegforscher" Peter Lindenthal auf historischen Spuren: auf uralten Routen, auf Teilen der alten Poststraße, dann wieder auf umgeleiteten Abschnitten, da so manchem Landwirt die touristische Erschließung seiner Felder zu viel geworden war. Beim Start am idyllischen Hintergranderhof, für Lindenthal "einer der schönsten Bauernhöfe Tirols", der bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht und heute einen Lebensmitteldiscounter beliefert, war tatsächlich Musik von Olga Neuwirth zu hören, Spleen III für Baritonsaxofon. Während Matej Bunderla multifone Sounds hervorbrachte, verschmolzen diese mit den Umweltgeräuschen, schienen Reaktionen der Kühe und Vögel zu evozieren.

Wie passend, dass zwei Stationen später die Vokalartistin Joan La Barbara zugange war: Die Mitstreiterin von John Cage und Morton Feldman entfesselte in der Pfarrkirche von Ellmau ein vokales Kaleidoskop dadaistischer Sprachfetzenvirtuosität und einen psychodelischen Obertonzauber, der an die besten Zeiten der wilden Avantgarde erinnerte. Beeindruckend, wie La Barbara, die heuer 70 wurde, vollkommen unprätentiös und mit stoischer Gelassenheit die verschiedensten Register und Effekte zu einer Art surrealistischer Erzählung verband: eine wundersame Begegnung mit einer international bedeutenden Künstlerin mitten im ländlichen Ambiente.

Es ist dieser Klangspuren-Ausgabe wieder gelungen, zwischen der Region und der weiten Welt ebenso zu vermitteln wie zwischen den verschiedensten Ansätzen der zeitgenössischen Musiklandschaft vom traditionellen Komponieren mit Papier und Bleistift bis zu konzeptuell geprägten künstlerischen Aktionen.

Auch der Wechsel zwischen den Veranstaltungsorten ist unvermindert anregend. So führte das musikalische Triptychon metallon vom öffentlichen Raum in die uralten Gemäuer unter der Hofburg: Zunächst realisierte das Südtiroler Elektronik-Trio Dark Matter auf dem Domplatz eine elektroakustische Interaktion mit dem Stundengeläut und dem Angelusläuten, um dann den Glockenturm für drei neue Stücke für Carillon (von Bernhard Gander, Klaus Lang und Tom Sora) freizumachen. Schließlich gab es im Gotischen Keller der Hofburg das rund einstündige metallon concert mit raumgreifenden hypnotischen Glocken- und Schlagzeug-Sounds und Klangteppichen vom Tiroler Kammerorchester InnStrumenti unter der Leitung Gerhard Sammers – ein Raumklangexperiment, das weniger durch intellektuelle Substanz denn unmittelbare Wirkung überzeugte.

Raum für den Nachwuchs

Viel Raum gibt es Jahr für Jahr bei den Klangspuren Schwaz auch für junge Musiker: nicht nur in Form der Internationalen Ensemble Modern Akademie, einem Meisterkurs für Studierende, sondern auch durch vielfache Teilnahme noch nicht allzu bekannter Interpreten. So konnte das Grazer Schallfeld Ensemble, das 2013 von Studierenden des Klangforum Wien gegründet wurde, sein Tirol-Debüt feiern und sowohl mit rein akustischen Werken als auch durch die Einbeziehung elektronischer Schichten überzeugen. Die enge Zusammenarbeit mit den Komponisten, zum Teil ebenfalls von der Grazer Kunst-Uni, schien bestens funktioniert zu haben.

Noch knapp zwei Wochen läuft die heurige Ausgabe. Unter anderem mehrere Klavierabende, ein Projekt über "Musik und Erotik" sowie ein Besuch im Dream House von La Monte Young, des Gründervaters des amerikanischen Minimalismus, stehen noch auf dem Programm mit dem Motto "Noch Fragen? Any Questions?" Keep going! (Daniel Ender, 18.9.2017)