Vor der Geburt ist nach der Geburt? Wie genau sich die Bedingungen in der Schwangerschaft auf das spätere Leben eines Kindes auswirken, ist nicht einfach zu erforschen.

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Wien – "Unsere Synapsen sind so, wie es unsere vorgeburtlichen Bedingungen waren." Ludwig Janus zitiert zu Beginn des vom Wissenschaftsministerium veranstalteten Science-Talk am Montag in Wien einen Hirnforscher. Janus ist Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Pränatalpsychologe und Psychohistoriker. Seit Jahrzehnten beschäftigt er sich mit dem Einfluss, den die Erfahrungen im Mutterleib und beim Geburtsverlauf auf unsere Psyche und Lebensbedingungen haben. So wisse man heute, dass die Einstellung der Mutter zur Schwangerschaft und zum ungeborenen Baby die Einstellung des Kindes zu seinem eigenen Leben prägt; ob es sich später geliebt, angenommen und "gut behaust" oder aber unsicher, instabil und unerwünscht fühlt.

Studien sind schwierig

Janus zitiert den Fall eines Patienten, der sein Studium kurz vor der Abschlussprüfung hingeschmissen hatte. In Therapiesitzungen will Janus herausgefunden haben, dass der Mann ein Kaiserschnitt-Kind war und durch die fehlende Erfahrung eines für ihn anstrengenden Geburtsvorgangs nie gelernt habe, etwas Schwieriges im Leben "durchzuziehen".

Dass Medizin und Gesellschaft lange Zeit zu wenig Augenmerk auf die pränatale Phase gelegt haben, sagt auch Peter Husslein, Leiter der Universitätsklinik für Frauenheilkunde an der Medizinischen Universität Wien am AKH. Studien, die einen kausalen Zusammenhang etwa zwischen bestimmten Geburtserlebnissen und späteren Charaktereigenschaften des Kindes zeigen wollen, sieht er kritisch. "Das Studiendesign ist schwierig. Zwischen dem Kaiserschnitt und einer Prüfung im Studium liegen viele andere Lebensereignisse und Erfahrungen." Doch auch Husslein bestätigt, dass "Mütter, die während der Schwangerschaft glücklich und unaufgeregt waren, meist zufriedene und ruhige Kinder" haben.

Die Kehrseite der Autonomie

Die Rolle der Mutter bei Schwangerschaft und Geburt entspreche heute der einer "Interakteurin", sagt Barbara Maier, Vorständin der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe des Wilhelminenspitals. Mütterliche Affekt- und Stressreaktionen gehen direkt auf das ungeborene Kind über. Das lasse sich mit der körperlichen Reaktion des Kindes auf mütterlichen Schwangerschaftsdiabetes vergleichen.

Die Kehrseite der tragenden Rolle und der Autonomie der Mutter sei, dass ihr die Gesellschaft die Alleinverantwortung für Wohl und Wehe des Kindes aufbürde. "Wieder einmal sind Frauen die, an denen alles hängt, die alles abbekommen", so Maier. "Wir brauchen eine neue Sichtweise auf Schwangerschaft und Geburt". Eine Sichtweise, die nicht nur die Frauen in den Blick nimmt, sondern auch den Partner, die Familie, die Herkunft und das kulturelle Umfeld.

Kaiserschnitt gegen die Selektion

Evolutionsbiologe Philipp Mitteröcker erklärt, dass der Geburtsvorgang beim Menschen durch den aufrechten Gang und das dadurch schmäler gewordene Becken schwieriger wurde. Denn zugleich wurden Gehirn und Kopf der Babys größer. Früher habe das Becken-Kopf-Missverhältnis dazu geführt. dass bestimmte Gene kaum weitergegeben wurden. "Vor Kaiserschnittzeiten unterlag eine Frau mit schmalem Becken einem enormen Risiko und hatte deshalb wenige oder keine Kinder. Das ist eigentlich Selektion." (Lisa Mayr, 20.9.2017)