Mexiko-Stadt –Nach dem schweren Erdbeben in Mexiko ist die Zahl der Todesopfer auf 230 gestiegen. Verzweifelt suchen die Retter in den Trümmerbergen weiter nach Überlebenden. Wie der Leiter des Zivilschutzes, Luis Felipe Puente, mitteilte, starben allein 100 Menschen in der Millionenmetropole Mexiko-Stadt.

Riesige Trümmerhaufen türmten sich in der Millionenmetropole Mexiko-Stadt, verzweifelt suchten Nachbarn, Angehörige und Retter nach den vielen Verschütteten. Angesichts der verzweifelten Rettungsmaßnahmen forderte Präsident Enrique Peña Nieto die Bevölkerung auf, zu Hause zu bleiben: "Sofern die Häuser sicher sind, ist es wichtig, dass die Bevölkerung drinnen bleibt, um die Straßen für Krankenwagen freizuhalten und die Arbeit der Rettungshelfer zu erleichtern", sagte er in einer Videobotschaft. Oberste Priorität habe nun die Suche nach Vermissten und die medizinische Versorgung der Verletzten.

Das Beben befand sich nahe der Hauptstadt Mexiko-Stadt.
Grafik: APA

Schule eingestürzt

Das schwere Erdbeben hatte sein Zentrum am Dienstagmittag mexikanischer Ortszeit rund 120 Kilometer Luftlinie südöstlich von Mexiko-Stadt. Während des Bebens stürzte eine Schule ein.

Admiral Joaquin López-Dóriga, der die Rettungstrupps an der Schule "Colegio Rébsamen" leitet, hat dem mexikanischen Fernsehsender FOROtv bestätigt, dass in dem Schulgebäude, das Kindergarten, Volksschule und Gymnasium beherbergte, mindestens 21 Kinder und vier Erwachsene tot geborgen wurden. Elf Personen konnten lebend befreit werden. Rettungskräfte versuchen mit Schaufeln und Händen Überlebende aus den Trümmern zu retten.

Entgegen der Vermutungen gibt es unter den Trümmern der Schule wohl kein eingeschlossenes Mädchen mehr. Das teilte am Donnerstag ein Marinesprecher vor Ort an der Schule "Enrique Rebsamen" mit – Marineeinheiten sind an der Suche beteiligt.

Nach Angaben von Innenminister Miguel Angel Osorio Chong kamen mindestens 226 Menschen ums Leben. Die Zahl der Toten dürfte weiter steigen. Da gerade in der Hauptstadt viele Gebäude eingestürzt sind, wurde mit weiteren Opfern gerechnet. Tote gab es auch in den Bundesstaaten Mexico, Guerrereo, Morelos, Puebla und Oaxaca.

Keine Österreicher unter den Opfern

Unter den Opfern befindet sich laut ersten Informationen des Außenministeriums in Wien keine österreichischen Staatsbürger. In ganz Mexiko befinden im Moment weniger als 1.000 österreichische Touristen. 2.400 Auslandsösterreicher haben sich im Land niedergelassen, wie Ministeriumssprecher Peter Guschelbauer zum STANDARD sagte.

Österreicher im Erdbebengebiet
ORF

Erdbebenübung

Ausgerechnet am Jahrestag des verheerenden Erdbebens von 1985 bebte die Erde erneut heftig. Vor 32 Jahren kamen rund 10.000 Menschen ums Leben. Rund zwei Stunden vor dem heftigen Erdstoß am Dienstag hatten viele Behörden, Unternehmen und Schulen sich noch an der alljährlichen Erdbebenübung beteiligt.

Allein in Mexiko-Stadt stürzten mindestens 38 Gebäude ein. Der Flughafen wurde geschlossen und auf Schäden untersucht. Beschädigte Krankenhäuser wurden evakuiert. Nach Angaben des Elektrizitätsunternehmens CFE waren mindestens 3,8 Millionen Menschen ohne Strom.

Helfer in Mexiko-Stadt suchen nach Lebenden in den Trümmern.
Foto: APA/ALFREDO ESTRELLA

Schwankende Häuser und Gasgeruch

US-Präsident Donald Trump schrieb auf Twitter: "Gott schütze die Menschen in Mexiko-Stadt." Man stehe an ihrer Seite.

Ein Reporter berichtete von schwankenden Gebäuden in der Hauptstadt und Gasgeruch. Tausende verängstigte Menschen seien auf die Straßen und Plätze geflüchtet. Das Telefonnetz brach zusammen. Auf TV-Bildern waren verschüttete Menschen in Trümmern zu sehen.

Die Hauptstadt Mexikos wurde besonders stark von dem Erdbeben getroffen.
Foto: APA/ALFREDO ESTRELLA

Schulen setzen Unterricht aus

In der Hauptstadt und dem angrenzenden Großraum leben rund 20 Millionen Menschen. Die Universität von Mexiko-Stadt teilte mit, dass alle Kurse und Veranstaltungen bis auf Weiteres ausfallen, um die Gebäude auf Schäden zu untersuchen. Auch Schulen setzten den Unterricht aus.

In Internetvideos waren Menschen zu sehen, die um ihr Leben bangen, schreien, weinen. An Gebäuden fielen riesige Gesteinsbrocken und Fassaden ab. Die Situation war zunächst völlig unübersichtlich. Menschen erhielten unter freiem Himmel Infusionen, Helfer suchten mit bloßen Händen in den Trümmern nach Überlebenden.

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Die Behörden befürchten, dass die Zahl der Opfer noch steigen könnte.
Foto: Reuters/CARLOS JASSO

Mehrere Nachbeben

Mehrere Nachbeben versetzten die Menschen kurz darauf zusätzlich in Angst. Wie das nationale seismologische Institut auf Twitter mitteilte, wurden am Dienstagabend und in der Nacht auf Mittwoch (Ortszeit) unter anderem im südöstlich von Mexiko-Stadt liegendem Bundesstaat Oaxaca Nachbeben gemessen.

Herabfallende Trümmer stürzten auf die Straßen.
Foto: APA/AFP/Estrella

Einer der aktivsten Bebenzonen

Betroffen war mehrmals die Küstenregion vor der Stadt Salina Cruz, das schwerste Nachbeben hatte demnach die Stärke 4,9. Bei einem Beben im Landesinneren nahe der Stadt Loma Bonita gab das Institut eine Stärke von 4,0 an.

Erst am 7. September waren bei einem Beben der Stärke 8,2 rund 100 Menschen im Land umgekommen, dabei lag das Zentrum aber im Pazifik und war in Mexiko-Stadt längst nicht so stark zu spüren. Danach gab es weit über tausend Nachbeben.

Eine der weltweit aktivsten Erdbebenzonen

Mexiko befindet sich in einer der weltweit aktivsten Erdbebenzonen. Der Großteil der Landmasse liegt auf der sich westwärts bewegenden nordamerikanischen Erdplatte. Unter diese schiebt sich die langsam nach Nordosten wandernde Cocosplatte. Der Boden des Pazifischen Ozeans taucht so unter die mexikanische Landmasse ab. Das führt immer wieder zu schweren Erschütterungen, die das Land bedrohen.

Die geologische Konstellation des Erdbebens vom Dienstag war laut den Experten der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) so geartet, dass Mexiko an einer womöglich viel größeren Katastrophe vorbeigeschrammt ist. Laut Wolfgang Lenhardt, Leiter der Abteilung Geophysik der ZAMG, hat sich die Pazifische Platte unter die amerikanische geschoben.

Knick an der Oberkante

Dabei bekam sie einen Knick an der Oberkante, der aber glücklicherweise in großer Tiefe lag. Damit befand sich auch das Hypozentrums des Bebens sehr tief unten. Wäre es wesentlich höher gelegen, hätte es wohl bedeutend mehr Opfer gegeben. Letztlich sei es zu Zugspannungen an der Oberfläche des Knicks gekommen.

An sich gebe es im Umfeld von Mexico City nicht allzu viele Erdbeben – glücklicherweise, denn die mexikanische Hauptstadt stehe auf dem Grund eines ausgetrockneten Sees. Die Sedimente des ehemaligen Gewässers würden die Auswirkungen von Erdstößen multiplizieren.

Lenhardt wies auch darauf hin, dass der Erdstoß vom Dienstag eigentlich nichts mit dem Beben im Süden des Landes vor knapp zwei Wochen zu tun habe. Es gehe zwar um die selbe Platte, aber das Erdbeben von Chiapas und Oaxaca sei an der Unterkante der Platte entstanden.

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In Mexiko-Stadt wurden zahlreiche Gebäude beschädigt.
Foto: AP/Blackwell

Audi und auch VW unterbrachen Produktion

Das schwere Erdbeben in Mexiko führt bei Audi zu Produktionsunterbrechungen. In dem Werk in San Jose Chiapa wurde die zweite Schicht früher beendet und die Nachtschicht abgesagt, erklärte eine Sprecherin des Autobauers am Mittwoch. Den Mitarbeitern solle damit die Gelegenheit gegeben werden, sich um ihre Angehörigen zu kümmern, nachdem es im nahe gelegenen Puebla zu massiven Schäden gekommen sei.

In dem Audi-Werk, in dem das Beben deutlich zu spüren gewesen sei, seien keine Menschen zu Schaden gekommen. Bisher hätten keine strukturellen Schäden festgestellt werden können, die Inspektionen dauerten aber noch an. Audi produziert in dem erst vor einem Jahr eröffneten Werk den Premium-SUV Q5 und beschäftigt dort rund 5.000 Mitarbeiter.

Einem Bericht der Nachrichtenagentur "Bloomberg" zufolge hat auch der Mutterkonzern Volkswagen seine Produktion im Werk in Puebla unterbrochen. Es ist das größte Autowerk in Mexiko mit rund 15.000 Mitarbeitern. Bei VW war zunächst keine Stellungnahme erhältlich.

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Manche Häuser fielen bis auf ihr Fundament zusammen.
Foto: Rafael Arias/Social Media/via REUTERS

Katastrophenhilfe des Roten Kreuzes läuft

Die Katastrophenhilfe des Roten Kreuzes läuft auf Hochtouren. Es gebe ein Zeitfenster von 72 Stunden, in denen die Chancen gut sind, Menschen lebendig aus den Trümmern zu retten, sagte Walter Hajek, Leiter der Internationalen Zusammenarbeit beim Roten Kreuz, am Mittwoch.

"Der Fokus des Roten Kreuzes liegt auf Such- und Rettungsmaßnahmen", erzählte Hajek. "Das mexikanische Rote Kreuz ist mit über 500 Mitarbeitern im Einsatz." Insgesamt gebe es 17 Such- und Rettungseinheiten. Anort und Stelle sorgen 90 Ambulanzen für die Erstversorgung von Verletzten.

Weitere Behandlung erfolgt in Spitälern. Einige Krankenhäuser mussten jedoch evakuiert werden. "Die Behandlung wird auf den Straßen fortgeführt, sagte Hajek. Notunterkünfte wurden eingerichtet, und die Menschen werden mit dem Wichtigsten versorgt.

Eine weitere wichtige Tätigkeit des Roten Kreuzes ist die Familienzusammenführung. Menschen seien in Panik. "Durch das entstandene Chaos wurden Familien auseinandergerissen. Die Angehörigen suchen nach Kindern, Eltern, Geschwistern", erzählte der ÖRK-Mitarbeiter. Das Rote Kreuz bietet eine Telefonnummer an, an die man sich wenden kann. Diese psychosoziale Unterstützung sei wichtig, ein Trauma sei dadurch weniger schlimm.

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Rettungsdienste suchen nach Überlebenden in Haustrümmern.
Foto: AP/Rebecca Blackwell

Infrastruktur betroffen

Die Schadensevaluierung sei noch nicht abgeschlossen, laufe aber parallel auf Hochtouren. Zugverbindungen, Flughafen und weitere Infrastruktur sind betroffen. Laut Hajek solle der Flughafen ab 16.00 Uhr wieder in Betrieb sein. Auch das mexikanische Heer habe über 3.000 Soldaten in das betroffene Gebiet entsendet.

Seit dem letzten verheerenden Erdbeben 1985, bei dem 10.000 Menschen ums Leben kamen, wurde sehr stark in den staatlichen Katastrophen- und Zivilschutz investiert. Hajek erzählte, dass unmittelbar vor dem Beben eine großangelegte Übung absolviert worden war. Die Bausubstanz und Baunormen seien verbessert worden und es gebe einen klaren Katastropheneinsatzplan. "Alles hat sich wirklich gut entwickelt in den letzten Jahren. Den Gesamtschaden kennen wir noch nicht, aber grundsätzlich ist alles gut vorbereitet", sagte er. (APA, red, 20.7.2017)