Es war eine aufrüttelnde Botschaft, die FPÖ-Frauensprecherin Carmen Schimanek in einer Presseaussendung vom 3. September 2017, Bezug nehmend auf eine Anfragebeantwortung von Innenminister Wolfgang Sobotka, verkündete: "Der Anteil von fremden Tätern" (eigentlich: Tatverdächtigen) im Bereich der Delikte gegen die sexuelle Selbstbestimmung in Österreich sei zwischen 2014 und 2016 "um 70 Prozent" angestiegen. Die Ursache dieses Anstiegs war schnell identifiziert: "unter dem Deckmantel des Asyls" seien "diese Kriminellen" mit den Fluchtbewegungen seit 2015 nach Österreich gekommen. Müßig zu erwähnen, dass die FPÖ sich dadurch in ihrer Agitation gegen Asylwerbende bestätigt sieht.

Die Rechenkunst der Rechten

Freilich: diese Bestätigung liefern die vom Innenminister vorgelegten Zahlen nur, wenn man sie sich so zurechtlegt. Zunächst: Schimaneks Ursachenanalyse ist reine Spekulation. Sobotkas Anfragebeantwortung gibt über den Aufenthaltsstatus der Tatverdächtigen schlicht keine Auskunft. Aber auch der behauptete Anstieg hat so nicht stattgefunden: nicht der Anteil von "Fremden" ist um 70 Prozent angestiegen, sondern die absolute Zahl an Tatverdächtigen ohne Staatsbürgerschaft. Gestiegen ist allerdings auch das Gesamtvolumen angezeigter Sexualdelikte, was in einer Angabe über die Entwicklung des Ausländeranteils natürlich zu berücksichtigen wäre. Tut man es, beträgt der Anstieg nur noch die Hälfte dessen, was Schimanek behauptet – nämlich rund 36 Prozent oder knapp acht Prozentpunkte.

Foto: Screenshot

Freiheitliche Männlichkeit beim Abstecken ihres Territoriums: mit einer Videobotschaft an die "sehr geehrten Herren Asylanten" (Screenshot) sorgte Armin Sippel, FPÖ-Klubobmann im Grazer Gemeinderat, 2016 für internationale Aufmerksamkeit.

Berücksichtigt man ferner–  wie die wissenschaftliche und politische Redlichkeit es erfordern würde – auch den stark gestiegenen Anteil von Nicht-Staatsbürgern an der österreichischen Wohnbevölkerung zwischen Anfang 2014 und Ende 2016 (plus 22,4 Prozent gemäß der Zahlen der Statistik Austria), lässt sich erst eine belastbare Aussage treffen: In der Tat stieg die Zahl der Nicht-Staatsbürger unter den Tatverdächtigen nach dem Sexualstrafrecht zwischen 2014 noch stärker an als die Zahl der Anzeigen aufgrund von Sexualdelikten insgesamt.

Wer die Proportionen dieser Entwicklung aber in derartiger Weise manipuliert, dem oder der ist es offenkundig weniger um die Bekämpfung sexualisierter Gewalt zu tun als um die Bekämpfung der "Fremden". Im Wege solcher Ethnisierung der Gewaltproblematik wird nicht nur eine rassistische Agenda befördert, sondern auch eine Apologie der Mehrheitsgesellschaft betrieben – und damit eine Verharmlosung des Problems sexualisierter Gewalt insgesamt. Dies nicht zuletzt angesichts des Umstandes, dass – von Schimanek tunlichst unerwähnt – der Anteil ausländischer Tatverdächtiger auch 2016 noch unterhalb der 30 Prozent lag. In anderen Worten: Auch 2016 waren gut sieben von zehn mutmaßlichen Sexualstraftätern – und in signifikant geringerem Ausmaß Täterinnen – österreichischer Staatsbürgerschaft.

"Österreich"ischer Assistenzeinsatz

Zumindest als Fußnote sei zuletzt auf den auch in dieser Frage zu konstatierenden Paarlauf von Boulevard und FPÖ eingegangen. Die Zeitung "Österreich" griff am 4. September Sobotkas Anfragebeantwortung auf und besaß dabei immerhin die Redlichkeit, den 70-Prozent-Anstieg auf die absolute Zahl ausländischer Tatverdächtiger zu beziehen. Verschwiegen wurde aber auch hier die Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Weiters wurde Schimaneks Aussendung ausführlich zitiert, einschließlich der behaupteten Kausalbeziehung zwischen Flucht und dem Anstieg sexualisierter Gewalt sowie der daraus abgeleiteten Schuldzuweisung an die Bundesregierung, ohne diese Behauptungen mit Stellungnahmen der Kritisierten, externen Expertisen oder eigener Recherche zu konfrontieren. Stattdessen pickte sich "Österreich" einzelne Bezirke heraus, in denen die "Ausländerquote" unter den Anzeigen im Vergleichszeitraum besonders stark angestiegen war. Die nächste anschauliche Episode eines bereits als chronisch zu bezeichnenden Assistenzeinsatzes für das rechtsextreme Langzeitprojekt der Ethnisierung des Sozialen. (Bernhard Weidinger, 21.9.2017)

Bernhard Weidinger ist Rechtsextremismusforscher am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) und Autor einer Monographie über Burschenschaften und Politik in Österreich nach 1945.

Hinweis: Ein ausführlicher Artikel zum instrumentellen Zugriff der FPÖ auf die Problematik sexualisierter Gewalt erscheint Ende des Jahres in Heft 2/2017 (Schwerpunkt: Kritische Männerarbeit in Theorie und Praxis) des Journals für Psychologie: Bernhard Weidinger/Katharina Werner, "Finger weg von unseren Frauen!" Männlichkeit, extreme Rechte und sexualisierte Gewalt.

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