"Es kann nicht sein, dass wir ganz weit hinten in einer Programmliste stehen, weit entfernt von jeder Auffindbarkeit": RTL-Chefin Anke Schäferkordt bei den österreichischen Medientagen.

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STANDARD: Sie sind die einzige Frau, die bei den österreichischen Medientagen eine Keynote hält, und eine von wenigen auf den Podien. Sind Sie das gewöhnt von solchen Branchentagungen?

Schäferkordt: Ich bin es schon gewohnt, oft die einzige Frau zu sein. Wobei in den Medien die Zahl der weiblichen Führungskräfte noch höher ist als in anderen Industrien. Bei der Mediengruppe RTL gibt es auch auf der zweiten Führungsebene eine ganze Reihe an Frauen. Und ich finde das ganz wichtig: Die Medien leben sehr stark von Diversität – auch im Kreis der Mitarbeiter.

STANDARD: Sie haben in Ihrer Keynote sehr betont: Es geht im linearen Fernsehen sehr zentral um eigene, eigenproduzierte Inhalte in der Unterhaltung, in der Fiction, im Sport. Da muss ich Sie als Österreicher fragen: Warum produzieren die RTL-Sender keine Inhalte für Österreich?

Schäferkordt: Wir schließen das für die Zukunft nicht aus. Aber sicher nicht im gleichen Umfang wie der ORF. Wir starten 2018 Werbefenster bei RTL Plus und N-TV für Österreich. Und bei N-TV bietet sich an, auch österreichische Inhalte zu zeigen. Wir schließen daher nicht aus, dass wir dort journalistische Inhalte für den österreichischen Markt anbieten, sprich Nachrichten oder Magazinbeiträge.

STANDARD: Gibt es Überlegungen für Österreich-Inhalte in weiteren Feldern?

Schäferkordt: Je größer die Produktionen sind, desto mehr Skalierbarkeit brauche ich in einem Markt. Der österreichische Markt ist geprägt von der Größe und der Dominanz des öffentlichen Rundfunks. Daher gibt der Markt ein breites Spektrum an Eigenproduktionen auf unseren Sendern nicht her.

STANDARD: ProSiebenSat1 scheint da anderer Auffassung zu sein – dort betreibt man eigene Sender für Österreich. Machen die da etwas falsch?

Schäferkordt: Das würde ich so nie sagen. Aber: Nur weil man österreichische Inhalte anbietet, müssen diese ja nicht funktionieren. Wir müssen für den Zuschauer relevante Inhalte produzieren. Ich glaube nicht, dass der Zuschauer gerade in der Unterhaltung so genau unterscheidet, ob ein Inhalt aus Österreich oder aus Deutschland kommt – sondern ob der Inhalt für ihn oder sie relevant ist und Spaß macht.

STANDARD: RTL hat 2016/17 ein Übernahmeangebot zusammen mit der "Krone" für den österreichischen Privatsender ATV unterstützt. Wie ernst war denn das Angebot – wenn Sie nicht so richtig an Inhalte für Österreich in größerem Umfang glauben?

Schäferkordt: ATV ist an ProSieben gegangen, und ich neige nicht dazu, in die Vergangenheit zu blicken. Aber grundsätzlich: Wenn wir Gespräche führen, meinen wir die immer ernst. Sonst brauchen wir sie nicht zu führen.

STANDARD: Vielleicht waren Sie auch nicht ganz unglücklich über den Zuschlag an ProSieben.

Schäferkordt: Wie gesagt, ich schaue nach vorne. Wir haben als einzige Gruppe in Österreich in den ersten sieben Monaten 2017 Marktanteile gewonnen. Wir haben einen Prozentpunkt zugelegt, während der öffentlich-rechtliche Rundfunk sowie unser privater Wettbewerber Marktanteile verloren haben. Und mit RTL Plus und N-TV kommen wir auf einen weiteren Prozentpunkt zusätzlich.

STANDARD: RTL scheint jedenfalls zu zeigen, dass man nicht unbedingt österreichische Inhalte braucht für Publikumserfolg auf dem österreichischen Markt: Sie hatten etwa diesen Samstag mit dem deutschen "Supertalent" gewaltige Marktanteile und sonntags laufend mit der deutschen "Ninja Warrior".

Schäferkordt: Ja,und man muss dazusagen: Wir achten darauf, dass wir in unseren Shows österreichische Kandidaten haben. Diese Shows sind immer auch ein Gefäß für Kandidaten aus allen deutschsprachigen Ländern. Da haben wir natürlich eine gewisse Österreich-Komponente drin.

STANDARD: ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz hat sich gerade darüber beklagt, dass die Satellitenplattform HD Austria aufgrund einer Vereinbarung mit ProSiebenSat1Puls4 ORF- und RTL-Programme praktisch unauffindbar verräumt. Ich höre, RTL wolle juristisch gegen diese Senderlistenprogrammierung vorgehen.

Schwäferkordt: Zu juristischen Themen würde ich mich ungern äußern. Aber grundsätzlich: Plattformen müssen einen diskriminierungsfreien Zugang für Anbieter gewährleisten, und unsere Sender müssen auffindbar sein. Es kann nicht sein, dass wir ganz hinten in einer Programmliste stehen, weit entfernt von jeder Auffindbarkeit. Das können wir nicht akzeptieren. In Österreich gibt es für Plattformen, dazu gehören auch Kabelbetreiber, noch nicht einmal Grundregeln zur Diskriminierungsfreiheit. Das sollten sich Medienpolitik und Rechtsprechung ansehen.

STANDARD: Die Free-TV-Sender beschäftigt gerade sehr, dass Pay-Plattformen und -Sender große Sportrechte wie die Champions League aufkaufen und mit Milliardenbudgets Fiction produzieren. Kann man überhaupt noch von Free-TV-Sendern sprechen, wenn man nun für RTL, ProSieben und Co in HD zahlen muss – und der alte Standard SD in den nächsten Jahren endet?

Schäferkordt: Bei Pay-TV bezahlen Sie für den Zugang zu einzelnen Programmen. Das ist ein anderes Paar Schuhe. Den Zugang zur technischen Plattform haben Sie schon immer gezahlt – denken Sie an Kabelnetze. Das ist nichts Neues. Das einzig Neue bei HD ist, dass die Sender einen kleinen Anteil, einen Fair Share, an diesem Zugangsentgelt bekommen, um die teurere technische Verbreitung zu refinanzieren. Der SD-Satellit ist in Europa nicht verschlüsselt, was uns regelmäßig Diskussionen mit Rechteinhabern bereitet.

STANDARD: Der ORF und andere öffentlich-rechtliche Sender verlangen breite Möglichkeiten auch für digitale Angebote. Sie fordern dafür präzisere Regeln und Rahmen – welche denn?

Schäferkordt: Warum zahle ich Gebühren? Um Vielfalt zu sichern und um insbesondere in der Information die Themen abzudecken, die der privatwirtschaftliche Markt nicht abdecken kann. Die Öffentlich-Rechtlichen definieren aber als Maßstab ihres Erfolgs Marktanteile. Dieser Maßstab zeigt, dass sie sich in permanenten Wettbewerb mit Privaten begeben. Das Programm von ORF 1, aber auch von öffentlich-rechtlichen Kanälen in Deutschland zeigt: Da nähern wir uns immer mehr an. Das wird zum Problem beim Gebührenzahler: Wofür zahle ich eigentlich Gebühren, wenn ich dasselbe von Privaten bekomme? Es müsste um die Frage gehen: Was muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk für die Gebühren leisten? Was erwarten die Gebührenzahler dafür? Das muss klarer umrissen sein. Im Rahmen dieses klarer umrissenen Auftrags soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk gerne auch die digitalen Medien bespielen.

STANDARD: Was erwartet denn die Gebührenzahlerin Anke Schäferkordt?

Schäferkordt: Dass nicht mit Gebührengeldern in allen Bereichen, wo auch Private sind, der Wettbewerb verzerrt wird.

STANDARD: ORF-Chef Wrabetz würde jetzt sagen: Wir wollen von allen Gebühren, also müssen wir auch allen etwas bieten.

Schäferkordt: Ich würde nie sagen, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk keine Unterhaltung bieten soll. Die Frage ist: Gibt es da heute die richtige Balance? Und liefert der öffentlich-rechtliche Rundfunk, was ich für meine Gebühren erwarte – die ich übrigens gerne zahle? Ich würde das bezweifeln, wenn Informationssendungen, kulturelle Sendungen, die ich sehen möchte, teilweise in den Spätabend oder auf kleinere Sender verschoben werden – oder gar nicht mehr stattfinden.

STANDARD: Die österreichische Antwort auf die langjährige Dominanz des ORF ist, auch private Medien mit Gebührenmitteln zu fördern, wenn sie öffentlich-rechtliche Inhalte im weiteren Sinne produzieren.

Schäferkordt: Ich wäre schon sehr froh, wenn die Medienpolitik für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgt, wir nicht überreguliert werden im Vergleich etwa zu den nichtlinearen Plattformen – von Werbebeschränkungen über unterschiedliche Jugendschutzbestimmungen bis zu Verpflichtungen zur Vielfalt. Wir brauchen da eine Balance zwischen Rechten und Pflichten.

STANDARD: Bei den Medientagen hat ProSiebenSat1Puls4-Chef Markus Breitenecker gerade wieder gesagt: Gebt mir die Hälfte der ORF-Gebühren, und ich produziere euch in gleicher Qualität und Quantität öffentlich-rechtliche Inhalte. Sie würden Förderungen auch nicht ablehnen, oder?

Schäferkordt: Förderungen aus Gebührenmitteln gehen immer einher mit Kontrollgremien, die stark politisch besetzt sind. Da habe ich Bedenken, was journalistische Unabhängigkeit angeht, wenn alles aus Gebühren finanziert oder mitfinanziert wird und überall entsprechend Gremienmitglieder Einfluss nehmen. (Harald Fidler, 21.9.2017)