Button der Punkband Pöbel, um 1981.

Foto: Ilse Hoffmann

Cover von Wolfgang Ambros' LP "Es lebe der Zentralfriedhof" (1975).

Coverfoto: Wolfgang Sos

Cover der LP "G-Stoned" (1993) von Kruder & Dorfmeister.

Foto: Gerhard Heller / Privatsammlung Walter Gröbchen

Wien – Popkultur und Wien, das ist die Geschichte eines Standortnachteils. Das Klischee der grauen Stadt am Rande des Eisernen Vorhangs war so lange Realität, dass sich der Hedonismus der Popkultur besonders schwertat, aus den Startlöchern zu kommen. Das düstere Erbe der Nazizeit lag wie ein schwerer Nebel über der Stadt und dem Land, die Tradition der kulturellen Vielfalt war verlorengegangen.

Ein Plakat von Novaks Kapelle aus den frühen 1970ern. Zu sehen in der Ausstellung "Ganz Wien – Eine Pop-Tour" im Wien-Museum.
Entwurf: Paul Braunsteiner / Archiv Karl Vollmann

Die Ausstellung Ganz Wien – Eine Pop-Tour im Wien-Museum beschreibt die damalige Mentalität mit einem besonderen Fundstück. In einem alten ORF-Beitrag werden Passanten gefragt, was sie von Beat halten. Von "Nichts" bis zu "Die gehören olle ins Orbeitsloger" reichen die Antworten. Auf die Frage, was Beat sei, wissen die meisten gar keine Antwort.

Ganz Wien zeichnet die Geschichte der Popkultur in der Bundeshauptstadt als unterhaltsamen Rundgang nach. Ton- und Bilddokumente bilden die mühsame Genese einer Kultur ab, die heute längst unseren Alltag prägt.

Sie zeigen erste Gehversuche unter dem Eindruck der Vorbilder aus den USA und England, die in Wien mit großer Verzögerung stattfanden. Doch es gab sie: Tanzveranstaltungen in der Vorstadt, Bands, die ihren Vorbildern in schlechtem Schulenglisch nacheiferten, alle züchtig gekleidet und brav gescheitelt. Trotzdem waren sie Symptome einer Zeitenwende.

Doch erst die größere Verbreitung des Massenmediums Fernsehen und die Geburt des Radiosenders Ö3 beschleunigten das Einsickern der Popkultur. Das trieb wilde Blüten, die von der Protopunk-Band Novaks Kapelle bis zu Heinrich Walchers Novelty-Hit Gummizwerg reichten. Die Schau zeigt einen Ausschnitt aus der von Peter Rapp moderierten Popsendung Spotlight. Da trägt Walcher den Gummizwerg vor. Eine Eloge auf die Freuden bewusstseinsverändernder Drogen, mit der er damals die heimische Hitparade eroberte. Die Mischung aus Naivität (seitens der Medien und des Publikums) und der (ebenso naiven) Radikalität des Sängers macht noch 45 Jahre später staunen.

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Der Titel Ganz Wien ist bei einem Lied Falcos entliehen. Die Formulierung kommt bei Ambros' Du schwoaza Afghane genauso vor wie bei Peter Cornelius, der 1981 Ganz Wien hat den Blues diagnostizierte. Er zeigt: Wiener Pop mühte sich lange an der Stadt ab.

Ambros und später Falco traten mit einem neuen Selbstbewusstsein für hausgemachte Popmusik an. Während Ambros als kritischer bis sudernder Chronist Wiens bald in seinen Sujets aufging, wollte Falco die Welt erobern. Erstmals wirkte der Standortnachteil als Exotenbonus, dazu kam die Zäsur von Punk und New Wave, die mit dem heiteren Aktionismus von Bands wie Drahdiwaberl oder der Hallucination Company Hand in Hand ging. Man riskierte alles, denn es gab nichts zu verlieren.

Ganz Wien erinnert an die damals entstandenen Oasen, die diese Kultur beförderten. Die Disco U4, Lokale wie die Blue Box, das Chelsea oder das Flex an seinem ersten Standort in Meidling. Interviews und Filme dokumentieren die Mühsal, die es bedeutete, der Stadt diese Freiräume abzutrotzen. Und wie die Sympathien der Polizei gelagert waren, als das Flex Probleme mit Skinheads bekam, die sich auf der anderen Straßenseite eingenistet hatten.

Im U4, 1980er-Jahre.
Foto: Privatsammlung Conny De Beauclair

Über Plakate, Flyer und Fanzines aus der Zeit bildet die Schau die damalige Szene ab, der die Stadt später Raum am Donaukanal oder in den Gürtelbögen zur Verfügung stellte. Damals, in den 1990ern, verwandelte sich der Standortnachteil langsam zum Vorteil. Von Wien aus ließ sich gemütlich die Welt erobern, weil die Stadt nicht unter Beobachtung stand. Durch die Erfolge der Wiener Elektronikszene überwand man den Minderwertigkeitskomplex mit einer Mischung aus Relaxtheit und Großgoschigkeit, wie ein Interview mit Kruder und Dorfmeister zeigt.

Entspannt und goschert – das ist ja letztlich die Wiener Hausmarke. Kuratiert ist die Ausstellung von Michaela Lindinger, Thomas Mießgang und Walter Gröbchen, der Katalog dazu bietet erheblichen und unterhaltsamen Mehrwert. (Karl Fluch, 22.9.2017)