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Alice Weidel (links) und Alexander Gauland führen die AfD als Spitzenkandidaten in die Bundestagswahl und wollen Fraktionschefs werden.

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Auch Parteichefin Frauke Petry werden Ambitionen nachgesagt.

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Quelle: statista.de

Es war, unlängst in Magdeburg, wieder mal sehr düster. Auf dem Platz vor dem Dom stand abends im Regen Thüringens AfD-Chef Björn Höcke und sprach über Deutschland. Er hatte nichts Gutes zu berichten: "Unser einst intakter Staat befindet sich in Auflösung", sagte er. Und: "Die Sicherheitslage gerät aus den Fugen."

Er erzählte von "Brutstätten des Terrorismus" in Deutschland und forderte: "Dieses Land braucht große politische Wenden." Vor der Bühne gab es Zuspruch, eine Frau hielt ein Schild mit der Aufschrift "Lieber Schweinemett als Mohamed" hoch. Am Rande des Platzes brüllten die Gegendemonstranten: "Hau ab!" und "Nazis raus!".

Schreien wird keiner, wenn die AfD nach der Wahl in den Bundestag einzieht. Aber der Wunsch nach maximaler Distanz zu den neuen Volksvertretern besteht auch im politischen Berlin. Das bedeutet: Niemand will im Bundestag neben der AfD sitzen.

Dritter Platz möglich

Sie wird den Einzug schaffen, da sind sich alle sicher. Einige Institute sehen sie schon an dritter Stelle hinter Union und SPD. Je nachdem, wie stark die AfD abschneidet, könnte sie zwischen 60 und 90 Abgeordnete stellen.

Man darf sich auf einiges gefasst machen, manchen Kandidaten eilt bereits ihr Ruf voraus. Jens Meier, Richter am Landgericht Dresden und auf Platz zwei der sächsischen Landesliste, erklärte den angeblichen "Schuldkult" der Deutschen für "endgültig beendet", warnt vor der "Herstellung von Mischvölkern" in Europa und sieht die NPD als "einzige Partei, die immer entschlossen zu Deutschland gestanden hat".

Markus Frohnmaier, Bundeschef der Jungen Alternative, kündigte den "linken Gesinnungsterroristen" an: "Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet." Dubravko Mandic, Rechtsanwalt aus Tübingen, nennt Ex-US-Präsident Barack Obama einen "Quotenneger" und bezeichnet Flüchtlingshilfe als "modernen Reichsarbeitsdienst".

Nicht vor der Regierung

Doch natürlich müssen die Neuen irgendwo im Plenum ihr Plätzchen finden. Rechts von der Union böte sich – vom Rednerpult aus gesehen – an, es würde zur politischen Ausrichtung passen. Doch Unionsabgeordnete wollen nicht so nahe bei den neuen Rechten sitzen. Zudem ist ganz rechts der Platz vor der Regierungsbank. Bei jedem Kameraschwenk über selbige wäre die AfD prominent im Bild. Die etablierten Parteien sind noch am Tüfteln.

Parlamentarische Erfahrungen mit rechten Parteien auf Bundesebene gibt es praktisch nicht. Die "Deutsche Partei" (DP) und der "Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten" (BHE) waren nur in den Fünfzigerjahren im Bundestag vertreten, dann verschwanden sie in der Versenkung.

Wie also umgehen mit den Neuen? Das ist die Frage, die viele jetzt schon umtreibt, und es beginnt mit der Benennung. Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht spricht von "Halbnazis", Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) legt noch einen drauf und sieht "Nazis im Reichstag". Die AfD selbst hat naturgemäß eine andere Selbsteinschätzung und sieht sich in der "bürgerlichen Mitte" angesiedelt.

"Man kann die Bandbreite der AfD nicht mit einem Wort einfangen", sagt Oskar Niedermayer, Politologe an der Freien Universität Berlin. Es gebe ein paar "Marktliberale", die gemäßigter auftreten. Dazu gehört Parteichefin Frauke Petry, die in den vergangene Monaten aber parteiintern an Bedeutung verloren hat – zugunsten von Spitzenkandidatin Alice Weidel, einer Ökonomin, die jedoch auch nicht mit harschen Worten hinterm Berg hält.

"Mahnmal der Schande"

Die Nationalkonservativen werden von Co-Spitzenkandidat Alexander Gauland angeführt. Bei Höcke, dem "Star" der Partei, sieht Niedermayer "eindeutig rechtsextremes Gedankengut". Zur Erinnerung: Höcke ist derjenige, der das Berliner Holocaust-Mahnmal als "Mahnmal der Schande" bezeichnet und vom "lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp" spricht.

Der Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer, Gründer des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, sieht überhaupt einen "neuen Parteitypus", er nennt ihn einen "autoritären Nationalradikalismus". Heitmeyer warnt davor, die AfD pauschal als rechtsextrem einzustufen: "Das wäre eine Verharmlosung. Die eigentliche Gefahr ist, dass sie an vielen Stellen in bürgerliche Milieus eingedrungen ist, sodass man bereits von einer rohen Bürgerlichkeit sprechen kann."

Parallelen zur FPÖ

In der Inszenierung ähnelt die vergleichsweise noch junge AfD stark der FPÖ. "Es wird der Konflikt Volk gegen Elite geschürt, wobei die AfD-Elite vorgibt, aufseiten der Bürger zu stehen", sagt Heitmeyer und sieht noch weitere Parallelen: "Die Ziele lauten: Abschottung versus offene Gesellschaft und geschichtliche Verklärung versus Aufklärung."

Zudem knüpften AfD und FPÖ an gefühlte soziale und politische Kontrollverluste in der Bevölkerung an und "suggerieren Bürgerinnen und Bürgern, dass sie ihnen wieder die Kontrolle über ihr Land zurückgeben könnten" – etwa durch Grenzschließungen, eine restriktive Asylpolitik oder Bekämpfung des Islam. "Hol Dir Dein Land zurück" ist einer der Wahlslogans der AfD in diesem Bundestagswahlkampf.

Dass nun auch in Deutschland eine rechte Partei vor dem Einzug ins Parlament steht, die Bundesrepublik also verspätet die Entwicklung vieler europäischer Länder nachvollzieht, wundert Heitmeyer nicht. Er forscht seit 1982 zu Rechtsextremismus, Gewalt und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Die Ergebnisse der Langzeitstudien sind unter dem Titel "Deutsche Zustände" bei Suhrkamp erschienen.

"Wir haben schon 2002 ein Potenzial von 20 Prozent für Rechtspopulisten gemessen", sagt Heitmeyer. Danach seien die Zahlen zurückgegangen, aber nach der Finanzkrise 2008 wieder gestiegen. Immer mehr Menschen fühlten sich von der Politik nicht mehr wahrgenommen und einflusslos auf das politische Geschehen – bis in die eigene Biografie.

Ignoranz der Eliten

Doch, so Heitmeyers Kritik: "Die politischen Eliten haben dies nicht wahrgenommen." Es war ja zunächst niemand da, der diese Wut und diesen Frust aufgegriffen hat – bis Pegida und die AfD kamen. Jetzt, so Heitmeyer, "gibt es einen politischen Ort und Gesichter". Nicht zufällig hat die AfD das Wort "Alternative" im Namen. Sie zielt damit auf die angebliche "alternativlose" Politik der etablierten Parteien ab und signalisiert: Wir sind anders.

Besonders deutlich ist dies in der Asylpolitik, die AfD verlangt eine Schließung der Grenzen. Zudem sagt sie: raus aus der Eurozone, Kündigung des Pariser Klimaabkommens, Senkung des Strafmündigkeitsalters von 14 auf zwölf Jahre, Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft. Und: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland." Minarette und der Ruf des Muezzins sollen verboten werden.

Schafft die AfD tatsächlich aus dem Stand den Sprung auf den dritten Platz im Bundestag, dann ist sie – im Falle einer weiteren großen Koalition – Oppositionsführerin. Diese Rolle wollen die Spitzenkandidaten Gauland und Weidel ausfüllen, sie würden die Fraktion gerne gemeinsam führen.

Querschuss von Frauke Petry

Doch auch Parteichefin Petry werden Ambitionen nachgesagt. Ob es zu einer Kampfabstimmung um den Vorsitz kommen wird, ist noch unklar. Das Verhältnis zwischen Petry und dem Duo Gauland/Weidel ist schlecht. Petry warf den beiden auf den letzten Wahlkampfmetern diese Woche vor, sie würden viele bürgerliche Wähler abschrecken. Angesichts des Lobes von Gauland für deutsche Wehrmachtssoldaten und einer Weidel zugeschriebenen E-Mail, in der Spitzenpolitiker als "Schweine" beschrieben werden, erklärte Petry: "Ich kann verstehen, wenn Wähler entsetzt sind."

Es hält sich das Gerücht, Petry und ihr Ehemann Marcus Pretzell, ein AfD-Politiker aus Nordrhein-Westfalen, wollten sich nach der Wahl mit vergleichsweise gemäßigten Getreuen von den nationalkonservativen Fundamentaloppositionellen um Gauland abspalten. Gaulands Verbündete werden in der Fraktion allerdings voraussichtlich die Mehrheit bilden.

Langfristig sieht Politologe Niedermayer für die AfD ohnehin nur dann Erfolgschancen, wenn sie sich klar vom rechtsextremen Rand distanziert. Denn: "Sonst werden sich die bürgerlichen Protestwähler wieder abwenden." (Birgit Baumann, 23.9.2017)