Den Umgang von westlichen Zoos mit exotischen Tieren reflektiert Candida Höfers "Zoologischer Garten Paris II" (1997).

Foto: Courtesy the artist © Bildrecht Wien, 2017

Wien – 1936: Der US-Stabhochspringer Cornelius Johnson gewinnt bei den Olympischen Spielen in Berlin und bekommt dafür eine Eiche geschenkt. Wiewohl gekränkt, dass Hitler sich weigert, ihm als Afroamerikaner die Hand zu schütteln, nimmt er das Bäumchen mit. Er pflanzt es in seinem Gärtchen in Los Angeles ein.

2014: Der Künstler Christian Kosmas Mayer sucht das Haus des 1946 verstorbenen Sportlers auf, um nachzusehen, was aus dem Bäumchen geworden ist – und findet schöne Ironie vor: Koreatown heißt der Stadtteil heute, eine mexikanische Familie lebt im Haus Johnsons. Sie hegt und pflegt den Baum liebevoll, ohne einen Bezug zu seiner unheilvollen Geschichte zu haben, so Kosmas Mayer.

2017: Videoaufnahmen des Baumes, stolz mit den Blättern rauschend über den Dächern einer Stadt, die für ihre Multikulturalität berühmt ist, laufen im Wiener Mumok. Glasbehältnisse mit Eichenkeimlingen verweisen auf die Absicht Kosmas Mayers, Nachkommen der Eiche wieder zurück nach Deutschland zu bringen. Auf Holzboxen liest man die ganze Geschichte nach.

Ein Symbol wächst über sich hinaus

Sie erzählt von der Neuaneignung eines allzu gewichtigen Symbols; sie handelt aber auch davon, wie wenig sich "die Natur" um die Zeichen schert, die der Mensch mit ihr zu setzen gedenkt. Und von daher fügt sie sich trefflich in die Ausstellung Naturgeschichten des Mumok ein. Die Themenausstellung befasst sich mit dem "Ineinander von Politik und Natur", wie Kurator Rainer Fuchs sagt.

Drei Wochen lang sperrte sich Joseph Beuys mit einem Kojoten in der New Yorker Galerie des deutschen Kunstnetzwerkers René Block ein, teilte sich den Lebensraum mit diesem Symboltier der Ureinwohner: "I like America and America likes me" (1974).
Foto: Courtesy Edition Block, Berlin © Bildrecht Wien, 2017

Kreist Kosmas Mayers Installation hier etwa um die Frage, wie politische Ideologien sich die Natur untertan machen, so stellt ein anderes Kapitel Künstler vor, die sich der Natur im Sinne gesellschaftlicher Gegenentwürfe nähern. Ein Wiedersehen gibt es hier etwa mit Joseph Beuys' I like America and America likes me (1974). Das ist jene Aktion, für die sich der Kunstschamane mit einem Kojoten drei Wochen lang in einer Galerie in New York einsperrte – wobei er während seines gesamten Aufenthalts ausnahmslos mit diesem Symboltier der Ureinwohner, nicht aber mit Amerikanern "kommunizierte".

Ein anderer Klassiker der Postavantgarde eröffnet das Kapitel über Kolonialismuskritik: Marcel Broodthaers Installation Un Jardin d'Hiver II (1974) versetzt Besucher in eine artifizielle Tropenidylle aus Topfpalmen, Lehrbuchbildern exotischer Fauna aus dem 19. Jahrhundert und Kaufhausmusik: Eine Kritik am Westler, für den die Ferne käuflich ist bzw. etwas, dem er doch nur eigene Projektionen aufdrückt.

Eine Arbeit, die sich der Kritik an der kolonialistischen Vergangenheit westlicher Gesellschaften widmet: Marcel Broodthaers Installation "Un Jardin d'Hiver II" (1974).
Foto: The Museum of Modern Art, New York / Scala, Florenz, fotografiert von John Wronn

Zoos und Museen

Im Geiste Broodthaers, eines Vaters der Kritik am (Kunst-)Museum selbst, steht eine Arbeit Mark Dions, für die das Mumok diesmal ins Naturhistorische Museum expandierte. Dion stellte dort "geteerte" Tiere den ausgestopften gegenüber – und zwar damit wir, salopp gesagt, diesmal besonders gut sehen, wie tot die Tiere im Museum eigentlich sind. Gut, inspirierender ist es da doch, anhand von Zoofotografien Candida Höfers über den institutionalisierten Umgang mit lebenden Tieren nachzudenken.

Naturgeschichten ist eine Themenausstellung, die Freude macht; eine, deren Arbeiten vielfach auch ohne exzessiven Genuss von Katalogtext reizvoll sind, viel eher durch sinnliche Erlebnisse dazu verlocken, dass man mehr wissen will. Manche Arbeiten, etwa jene der rumänischen Gruppe Sigma, die in den 1970er-Jahren über eine Verbindung von Wissenschaft, Philosophie und künstlerischem Naturstudium einen widerständigen Geist beförderte, wären ohne historischen Kontext auch weniger spannend.

Zu entdecken ist übrigens auch die letzte Arbeit der 2017 verstorbenen Künstlerin Ingeborg Strobl, jener großen, aber stillen österreichischen Vertreterin einer Gesellschaftskritik, die sich auf die Natur bezieht. Ihre noch fürs Mumok konzipierte Fotoserie Rumex alpinus befasst sich mit dem Verfall des Almhüttenbetriebs durch den wirtschaftlichen Wandel. (Roman Gerold, 22.9.2017)