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Ein Wolf lebt seit vier Jahren auf den Inseln vor Vancouver Island. (Symbolbild)

Foto: AP/Dawn Villella

Für Ron Sam, den Häuptling des Songhees-Stammes, besteht kein Zweifel: Ein männlicher Wolf, der seit vier Jahren als Einzelgänger auf einigen der kleinen Inseln vor Vancouver Island lebt, die teilweise zum Stammesgebiet gehören, ist die Reinkarnation seines Onkels Robert Sam. Einige Monate nach dem Tod des früheren Häuptlings war der Wolf auf den Inseln aufgetaucht. "Mein Onkel gehörte zum Wolf-Clan", sagt Ron Sam, "und er liebte Wölfe."

Normalerweise gibt es keine Wölfe auf den Inseln Chatham und Discovery, wo sich der Wolf niedergelassen hat. Das macht dessen Erscheinen umso spektakulärer. Seither kämpfen die Songhees darum, dass man das stolze Tier, das sie Staqeya nennen, in Ruhe lässt. "Wir versuchen die Leute von den Inseln fernzuhalten, um dem Wolf Freiraum zu geben", sagt Ron Sam. Die Indigenen haben auch Überwachungskameras auf den Inseln installiert, um das Tier zu schützen.

Im vergangenen Jahr legten sie sich mit dem Umweltministerium der Provinz British Columbia an, das den Wolf mit einer Falle fangen und umsiedeln wollte. Grund war eine Begegnung zwischen Wanderern, die unerlaubt mit einem Hund auf der Insel gelandet waren, und dem Wolf. Dieser war ihnen neugierig gefolgt, hatte aber kein aggressives Verhalten gezeigt. Trotzdem flüchteten die Hundebesitzer in einen leeren Leuchtturm und ließen sich von der Polizei retten. Die Songhees wehrten sich aber erfolgreich gegen das Einfangen des Wolfs. "Die Regierung hat keine Verfügungsgewalt auf unserem Territorium", sagt Ron Sam.

Falsche Wege eingeschlagen

Das Erscheinen eines einzelnen Wolfes so nahe bei Victoria, der Hauptstadt von British Columbia, erstaunt nicht nur Bootsbesitzer und Touristen. Chris Darimont, Wolfexperte der Uni von Victoria, erwartete damals nicht, dass der Wolf überleben könnte. "Er wurde von seiner Wolfsfamilie getrennt und hat ein paar falsche Wege eingeschlagen", sagt er. Und dann sei das Tier in einer dichtbesiedelten Gegend gelandet und davon weg auf die Inseln geschwommen. Gegen alle Erwartungen geht es Staqeya blendend. Der Wolf, dessen Alter auf sieben oder acht Jahre geschätzt wird, ernährt sich hauptsächlich von Robben, aber auch von Gänsen und Enten.

Cheryl Alexander, eine Fotografin aus Victoria, sah den Wolf zum ersten Mal vor drei Jahren. "Plötzlich stieg er aus dem Wasser auf den Strand", erzählt sie, "und verschwand dann im Busch. Dort heulte er mehrere Minuten lang." Sie hat viel über diesen Wolf recherchiert, aber lange nichts veröffentlicht, weil sie um seine Sicherheit fürchtet.

Häuptling im Körper eines Wals

Alexander will nicht, dass er ein frühzeitiges Ende findet wie Luna, der Killerwal. Vor einigen Jahren wurde Luna von ihrer Familie getrennt und hielt sich fünf Jahre lang nahe der Küste von Vancouver Island auf. Sie suchte die Nähe von und den Kontakt mit Booten und Menschen. Die Regierung versuchte damals, den Orca umzusiedeln, aber die Mowachaht-Muchalaht waren dagegen: Ihr kurz zuvor verstorbener Häuptling hatte vorausgesagt, sein Geist werde als Wal zurückkehren. Im Jahr 2006 wurde Luna von einem Bootsmotor verletzt und starb. Lunas Geschichte wurde später verfilmt.

Staqeya erregt ebenfalls Aufsehen. Im Februar wurden erstmals Fotos von ihm veröffentlicht. Unerwartet hatte er sich Vogelbeobachtern gezeigt. "Solange die Menschen ihm aus dem Weg gehen, könnte er bis ins hohe Alter auf diesen Inseln leben", sagt Cheryl Alexander. Die Songhees sind jedenfalls entschlossen, den Wolf zu verteidigen. (Bernadette Calonego aus Vancouver, 27.9.2017)