Foto: Stefan Armbruster
Foto: Stefan Armbruster

Ich habe einen Holzhackerkörper und wollte eine Primaballerina werden." Es ist ein warmer Sommerabend, und Franz Rogowski sitzt auf einem Barhocker im Wiener Hotel am Brillantengrund. Sein Körper ist angespannt, der Kopf leicht zur Seite gedreht. Mehrere Stunden stand er am Nachmittag vor der Kamera des Fotografen, sprang auf Zuruf durch das Fotostudio oder wälzte sich auf dem Boden. Hauptsache nicht still stehen, Hauptsache, immer in Bewegung sein.

In Michael Hanekes neuem Film "Happy End" spielt Franz Rogowski den Sohn von Isabelle Huppert.

Hier ist er in einem Mantel von Dries Van Noten, einer Tunika und Hose von Uma Wang und Schuhen von Versace zu sehen.
Foto: Stefan Armbruster

Auch jetzt wippen seine Füße und bewegen sich seine Finger, während er von den Problemen mit seinem Körper erzählt. Vom Meniskusschaden – weswegen er mit dem Tanzen wieder aufgehört hat. Von den Hörproblemen – weswegen er das eine Ohr etwas in die Richtung des Gegenübers dreht. Und von seiner Lippenspalte – weshalb er für gewisse Rollen wohl nie infrage kommen wird. "Jeder hat Defizite", sagt er. Jene von Rogowski haben wohl in erster Linie mit seinem Körper zu tun.

Vielleicht gehört Rogowski gerade deswegen zu den interessantesten deutschsprachigen Schauspielern der jüngeren Generation. Hat man ihn einmal im Theater oder auf der Leinwand gesehen, wird man seine Erscheinung nicht mehr so schnell vergessen. Das leicht unsymmetrische Gesicht, den muskulösen Körper, den ausgeprägten Sprachfehler. Spielt er einen Schüchternen, blitzt die Kraft durch, die in ihm steckt. Spielt er einen Draufgänger, dann kommt immer auch seine weiche Seite zum Vorschein.

Wie er sich selbst beschreiben würde, fragt man ihn gegen Ende des Gesprächs. "Als unglaublich sexy, gefährlich und trotzdem sensibel", kommt es wie aus der Pistole geschossen.

"Meine Pubertät war eine absolute Katastrophe."

Rogowski lacht laut auf, er weiß, wie kokett sein Satz geklungen hat. Noch spannender findet er aber, wie sein Gegenüber darauf reagiert.

Von der Schule ist er frühzeitig abgegangen, von zuhause mit 16 rausgeflogen. "Meine Pubertät war eine absolute Katastrophe. Die Entscheidung fürs Schauspiel war eigentlich eine Entscheidung gegen die Schule." Still zu sitzen war schon damals nicht seins, vorgekaute Inhalte eins zu eins wiederzugeben erst recht nicht.

Im neuen Haneke-Streifen Happy End, in dem Rogowski den widerständigen Sohn von Isabelle Huppert spielt, gibt es eine Szene, die auch den Schauspieler selbst ganz gut charakterisiert. Gefangen in einem großbürgerlichen Pariser Haushalt, in dem Gefühle abgeschafft sind, verabschiedet sich dieser Pierre in eine ausgedehnte Trotzphase. Nur einmal bricht die Wut und die Energie und die Leidenschaft aus ihm heraus. Mit gebücktem Oberkörper steht er in einer Karaokebar, trällert ein schiefes Lied, verdreht und verbiegt sich. Erst in dieser extremen Körperlichkeit ist dieser junge Mann bei sich. Erst dann kann er loslassen.

140 Filmminuten und kein einziger Schnitt: Im preisgekrönten Film "Victoria" spielte Rogowski einen Ex-Knacki.
Den Mantel hat Craig Green für Moncler entworfen, Pulli Versace, Slip Intimissimi, Schuhe Rick Owens.
Foto: Stefan Armbruster

Dagegen sein, nicht dafür

Eine Zigarette, fragt Rogowski, spricht man ihn auf diese Szene an. Jede Fotopause hat der 31-Jährige dazu genutzt, sich am Fenster des Wiener Fotostudios eine selbst zu drehen. Auch jetzt raucht er eine nach der anderen. "Pierre weiß, wogegen er ist, aber nicht wofür." Diesen Zustand kennt wohl auch Franz Rogowski sehr gut.

Aufgewachsen in einem schwäbischen Elternhaus in Freiburg im Breisgau, hat Rogowski nie eine klassische Schauspielausbildung gemacht. Stattdessen studierte er anthroposophische Theaterpädagogik in Stuttgart, Bewegungstheater im Tessin und zeitgenössischen Tanz in Salzburg und Berlin. Er jobbte als Straßenmusikant ("Die Leute gaben mir Geld, damit ich aufhöre zu spielen") und als Fahrradkurier ("Da hatte ich ständig Probleme mit meinem Körper"). Als solcher platzte er eines Tages in ein Casting an der Berliner Schaubühne.

Gesucht wurde ein Tänzer – engagiert wurde Franz Rogowski. Er stand in Abenden von Falk Richter, Constanze Macras oder Nicolas Stemann auf der Bühne, wirklich glücklich machte ihn das aber nicht: "Der Tänzer im Theater macht das Geschehen multimedialer und dynamischer, weil er sich gegen Wände schmeißt", erklärte er in vor einigen Monaten in einem Interview mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung: "Aber der Tänzer im Theater bleibt immer eine Lachnummer, auch wenn er das zwanzig Jahre macht."

So lange wollte Rogowski den Knochenjob nicht machen. Als ihm der Berliner Regisseur Jakob Laas die Hauptrolle in Love Steaks anbot, griff Rogowski zu.

2013 war das und Rogowski noch ein blasser Jungspund, der im wahrsten Sinne des Wortes durch den Film tapste. Als sanfter, unbedarfter Masseur in einem Hotel an der Nordsee spielte er sich in die Herzen der (weiblichen) Zuschauer und wurde dafür mit dem Preis für das beste Schauspiel beim Filmfest München ausgezeichnet. Die Rolle war sein Durchbruch, und das, obwohl Rogowski herkömmlichen Schauspielrollen misstraut: "Ich weiß gar nicht, ob ich klassische Figuren überhaupt spielen möchte." Also Figuren, die durch ihr Innenleben charakterisiert werden und so etwas wie eine Identität besitzen.

l.: Mantel Craig Green X Moncler, Tanktop Telfar, Hose Versace.

r: Mantel von Versace und einen Anzug von Casey Caseyn, Schuhe von Both Paris.
Foto: Stefan Armbruster

An den Münchner Kammerspielen, wo Rogowski seit Herbst 2015 fest engagiert ist, besteht da auch kaum die Gefahr. Im Theater des Matthias Lilienthal regiert das Experiment, Konzepte werden ausprobiert, Figurengrenzen lösen sich auf. "Lilienthal hat viele schräge Vögel nach München geholt", sagt Rogowski nach einem weiteren Zug von der Selbstgedrehten und lässt keinen Zweifel daran, dass er sich damit auch selbst meint. Jede Rolle ist von Neuem ein Sprung ins kalte Wasser.

Manövriermasse Identität

Jede Theaterform bringt auch einen eigenen Schauspieltypus hervor, sind es beim klassischen Theater Mimen, die sich mit jeder Pore in Hamlet oder Othello verwandeln, setzt das moderne Performancetheater auf Spieler, die ihre Identitäten als Manövriermasse behandeln – oder die ihre Körper manchmal einfach nur als Material betrachten.

Der Mantel ist von Dries Van Noten, der Overall von Sankuanz, die Schuhe von Both Paris.
Foto: Stefan Armbruster

Auch im Film hat sich die Offenheit Rogowskis gegenüber dem Experiment bezahlt gemacht. Als Victoria 2015 bei der Berlinale gezeigt wurde, war das Erstaunen groß. 140 Minuten dauert der Kinostreifen, eine Reise einer spanischen Austauschstudentin durch eine Berliner Nacht, in der sie auf eine Clique von vier Halbstarken trifft, die dabei sind, eine Bank zu überfallen. Gerade einmal eine Kameraeinstellung braucht Regisseur Sebastian Schipper, um die Geschichte zu erzählen, gedreht wurde in einer einzigen Nacht.

Rogowski spielt "Boxer", einen kahlköpfigen, beinahe stummen Ex-Knacki. Sein Körper ist seine Waffe, jeder Muskel zeichnet sich unter seinem T-Shirt ab. "Die Vorbereitung auf die Rolle bestand darin, dass ich ein halbes Jahr Kampfsport gemacht habe", erzählt der Schauspieler: "Ich wollte meinen Körper fühlen, mit ihm eins sein."

Da ist es wieder, das K-Wort. Der Körper ist bei Rogowski mehr als ein Instrument oder ein Gefäß. Die Auseinandersetzung mit ihm gehört zu seinem Alltag. Vielleicht weil sich der Schauspieler seiner Widerspenstigkeit bewusster ist, als jemand, der uneingeschränkt auf ihn zählen kann. "Man ist im Schauspiel sehr allein", sagt Franz Rogowski, bevor er hinaus in die Nacht zieht.

Das Einzige, auf das man sich verlassen kann – ist der eigene Körper. (Fotos: Stefan Armbruster, Text: Stephan Hilpold, Rondo, 29.9.2017)

Franz Rowogoski in einer Hose von Dries Van Noten, Tanktop: Stylist's own.
Foto: Stefan Armbruster
Trailer von Happy End
Skip