Durch die Fusion der Zugsparten von Alstom und Siemens ensteht ein Konzern mit gut 60.000 Angestellten und einem Umsatz von 15 Milliarden Euro.

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Mit der Pariser Adresse hatten die deutschen Besucher noch etwas Mühe: Der erste gemeinsame Auftritt mit den neuen Alstom-Freunden fand nicht wie von Siemens angegeben an der Avenue Léna statt, sondern der Avenue Iéna – die auf jenen Schlachtort verweist, an dem Napoleon einst die Preußen besiegt hatte. Siemens Mobility und Alstom haben ihre alte, teilweise erbitterte Rivalität hingegen gerade beendet – mit dem Vollzug einer seit Urzeiten diskutierten Zugfusion in Europa.

"Wir haben schon gewonnen, bevor wir begonnen haben", erklärte Alstom-Boss Henri Poupart-Lafarge mit französischem Elan, und auch Siemens-Vorsteher Joe Kaeser sprach von einem "großen Moment für die europäische Idee". Früher habe er sich ärgern müssen, wenn er von München nach Paris den französischen TGV und nicht den deutschen ICE bestiegen habe. An diesem Morgen jedoch sei es auf das Gleiche hinausgelaufen.

Stimmt, jetzt gehören ihm beide Züge. Die französischen Medien und Politiker reagieren zum Teil sehr empfindlich auf den Umstand, dass Siemens gut 50 Prozent des Kapitals hält. Wie viel genau, konnte – oder wollte – Kaeser nicht sagen: "Sind es 50,0 Prozent, 50,9 oder 50,5? Das macht im Grunde keinen Unterschied. Wichtig ist allein der Erfolg des Unternehmens."

Zusammenschluss unter Gleichen

Kaesers Behauptung, es handle sich um einen "Zusammenschluss unter Gleichen", scheint reichlich gewagt. Die französische Seite ist anteilsmäßig auf jeden Fall in der Minderheit. Der bisherige Hauptaktionär Alstoms, der Baukonzern Bouygues, sieht seinen Anteil auf rund 15 Prozent verwässert. Der französische Staat hat zwar noch bis Mitte Oktober eine Option auf 20 Prozent; Präsident Emmanuel Macron zögert aber noch, ob er sie ausüben soll: Er will derzeit eher Staatsbetriebe teilprivatisieren.

Seinen Sitz wird das deutsch-französische Unternehmen im Pariser Vorort Saint-Ouen haben. Nur die Signaltechnik, mit der Siemens höhere Margen erzielt als mit dem eigentlichen Bahngeschäft, wird von Berlin aus geleitet. Vorsteher von Siemens-Alstom, wie das Gemeinschaftsunternehmen heißen soll, wird Poupart-Lafarge. Auf der Pressekonferenz musste er aber auch die Frage beantworten, wie lange er den Posten wohl behalten werde.

Bis Ende 2018 fusioniert

Die Fusion soll schon Ende 2018 abgewickelt sein. Aufgerechnet kommt der Konzern auf gut 60.000 Angestellte (Siemens Mobility 29.500, Alstom 32.800), die einen Umsatz von 15 Milliarden Euro erwirtschaften. Das ist gerade einmal die Hälfte des Gewichts, das der chinesische Low-Cost-Konkurrent und Branchenleader CRRC (160.000 Mitarbeiter) auf die Waage bringt. Sein Vormarsch dürfte die innereuropäische Bahnheirat zumindest beschleunigt haben.

Kaeser wie Poupart-Lafarge betonten die geografische Komplementarität: Siemens sei vor allem in Deutschland, China und den USA stark, Alstom in Frankreich, Asien, Südamerika und Afrika. Befürchtungen von Gewerkschaften beiderseits des Rheins, dass überlappende Produktlinien gefährdet seien, zerstreuten die beiden zum Teil.

Entlassungen werde es wohl im Direktions- und Verwaltungsbereich geben, meinte Kaeser; in der technischen Produktion, dem Engineering und dem Marketing wolle man aber "die Kräfte eher bündeln als abbauen". Generell wolle Siemens-Alstom "nachhaltige Arbeitsplätze garantieren". Poupart-Lafarge ging noch weiter und meinte, das neue Unternehmen wolle insgesamt Stellen schaffen.

Und die Prestigeprojekte TGV und ICE, die auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen deutschen Städten und Paris sogar parallel eingesetzt werden? Poupart-Lafarge machte klar, dass die beiden nationalen Marken weiterbestehen werden. Ziel sei es allerdings, die Plattformen der Waggons und Loks zu vereinheitlichen. Die TGV- und ICE-Züge sollen also in Zukunft auf dem gleichen Rollmaterial gebaut werden, aber ihren Stammkunden weiterhin eigene Passagierabteile anbieten. Offenbar betrifft das auch die Lokomotiven: Der mit 250 km/h brausende ICE könne nicht einfach so mit dem TGV zusammengelegt werden, der 350 km/h erreiche, meinte Kaeser.

Kartellbehörden am Zug

Die Unterscheidung beinhaltete wohl auch einen Wink an die Kartellbehörden, die die Fusion noch absegnen müssen. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist vorerst auch nicht geplant, die kanadische Bombardier ins Boot zu holen. "Derzeit führen wir keine solchen Gespräche", meinte Poupart-Lafarge.

In Pariser Kreisen wird spekuliert, ob Siemens seine Fühler nicht zuerst "als Köder" nach Kanada ausgestreckt habe, um Alstom fusionswillig zu machen. Noch 2014 hatte der damalige Alstom-Chef Patrick Kron einen ersten Heiratsantrag Kaesers brüsk ausgeschlagen; die Energiesparte seines Konzerns verkaufte er an die amerikanische General Electric. "Vor drei Jahren war das Timing noch nicht gut", meinte Kaeser am Mittwoch. "Doch die Zeiten haben sich geändert." Geändert hat sich vor allem der Konkurrenzdruck aus China und Japan. Er war wohl der stärkste Motor für den seit Jahren diskutierten "Airbus der Schiene". (Stefan Brändle aus Paris, 27.9.2017)