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Jeremy Corbyn, Labour-Chef.

Foto: Reuters/Melville

Die hinter ihm geeinte Labour Party sei jederzeit zur Regierungsübernahme von den zerstrittenen Torys unter Premierministerin Theresa May bereit: Mit dieser Botschaft begeisterte Oppositionsführer Jeremy Corbyn am Mittwoch zum Abschluss des Jahrestreffens seiner Partei die Delegierten im südenglischen Seebad Brighton. Wie im zurückliegenden Wahlkampf werde die mit knapp 600.000 Mitgliedern größte Partei Westeuropas mit einem dezidiert linken Programm um Veränderung im Land kämpfen, sagte der 68-Jährige: "Wir stehen an der Schwelle zur Macht."

Gegen die Erwartungen der Meinungsforscher und trotz einer bitteren Kampagne der überwiegend rechtsgerichteten Londoner Zeitungen hatte die Arbeiterpartei im Juni ihren Stimmanteil um zehn auf 40 Prozent erhöht und 30 Unterhaussitze hinzugewonnen. Das Boulevardblatt "Daily Mail" habe einen Tag vor der Wahl auf 14 Seiten gegen seine Partei polemisiert, höhnte Corbyn in seiner 75 Minuten langen Rede und forderte den Chefredakteur dazu auf, beim nächsten Mal 28 Seiten zu verwenden. "Dann gewinnen wir doppelt so viele Stimmen dazu."

In Umfragen voran

Der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov zufolge würden sich derzeit 43 Prozent der Briten für die Oppositionspartei und 39 Prozent für die Konservativen entscheiden. Im britischen Mehrheitswahlrecht wäre damit wohl der Machtwechsel fällig. Premierministerin Mays Partei hatte bei der Wahl zwar ebenfalls Stimmen hinzugewonnen und 42 Prozent erreicht, allerdings Mandate und damit die Mehrheit im Unterhaus eingebüßt. In der Frage, wer den besseren Regierungschef abgebe, liegt Corbyn (29 Prozent) deutlich hinter May (37) – für beide hält sich also die Begeisterung der Wählerschaft in engen Grenzen.

Während May bei ihrem Parteitag kommende Woche in Manchester auch heftig um die Sympathie der eigenen Mitglieder werben muss, sonnte sich Corbyn in Brighton in der Gunst seiner Anhänger. Waren die Zusammenkünfte der beiden Vorjahre noch von heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen geprägt, sind die Widersacher des langjährigen Außenseiters vom linken Parteiflügel nach dem Wahlerfolg verstummt. Angesichts der Schwäche von Mays Minderheitsregierung gilt ein weiterer Urnengang in naher Zukunft als möglich – ein weiterer Grund für die demonstrative Geschlossenheit der Opposition.

"Inkompetentes Verhandlungsteam"

Corbyn richtete heftige Angriffe auf das Kabinett und nannte vor allem die Brexit-Verhandlungen als negatives Beispiel für das Regierungshandeln der Tories. Das "hoffnungslos inkompetente Verhandlungsteam" und Mays harter Kurs würden britische Jobs in Gefahr bringen. Die Florenzer Rede der Premierministerin habe die Regierung "lediglich für ein paar Stunden geeint: Noch nie wurde dem nationalen Interesse in einer so entscheidenden Angelegenheit so wenig Bedeutung beigemessen." Allein das sei schon ein Grund für den Regierungswechsel.

Brexit-Linie weiter unklar

Außer dem Versprechen an die EU-Bürger auf der Insel, ihre Rechte würden zur Gänze gewahrt bleiben, blieb allerdings Labours eigene Brexit-Linie im Unklaren. Das zuständige Mitglied des Schattenkabinetts, Keir Starmer, hatte über den Sommer seine Partei auf eine mehrjährige Übergangsfrist festgelegt, in der Großbritannien in Binnenmarkt und Zollunion bleiben solle. Dass May diese Position übernahm, reklamierte der eingefleischte EU-Skeptiker Corbyn als Erfolg für sich. Was aber nach der Übergangsfrist geschehen soll, bleibt bisher bei der Opposition ebenso unklar wie in Mays Florenzer Rede. (Sebastian Borger aus Brighton, 27.9.2017)