Michael Loebenstein leitete zuletzt das nationale Filmarchiv von Australien – zurück in Österreich möchte er die Vernetzung unterschiedlicher Institutionen vorantreiben. Er tritt für eine Öffnung der Archive ein und will filmkulturelle Aktivitäten forcieren.

Foto: Christian Fischer

STANDARD: Bei Ihrer Besetzung wurde oft die Kontinuität zu Ihrem Vorgänger Alexander Horwath betont. Wo liegen die neuen Akzente?

Loebenstein: Akzente ergeben sich schon zwangsläufig daraus, dass ich aus einer anderen Position starte. Kleine Häuser wie das Filmmuseum sind von den Interessen ihrer Leiter geprägt. Es gibt eine Tradition, in die man sich einfügt, sonst hätte ich mich gar nicht um den Job beworben. Ich habe jedoch einen stärkeren wissenschaftlichen Hintergrund als Alexander Horwath. Ich habe in den letzten Jahren viel über den Begriff der Sammlung gearbeitet: Inwiefern kann man eine Sammlung von kulturellen Artefakten, also künstlerischen Produkten oder Zeitzeugnissen, neu denken.

STANDARD: Sind dafür auch engere Kooperationen mit anderen Häusern geplant?

Loebenstein: Ich komme aus einer Generation, in der Netzwerke eine größere Rolle spielen. Was mich an der Idee des Museums fasziniert, ist die Idee eines Experimentierfelds, einer Spielwiese, um Dinge auszuprobieren. In den letzten Jahren ist es zu einem Wettrüsten unter den Kinos gekommen, Retrospektiven finden an allen möglichen Orten statt. Das führt auch zu einer Eventisierung. Ein öffentlich subventioniertes Haus kann hingegen Dinge ausprobieren, die in dieser "Dog eat dog"-Logik keinen Platz haben.

STANDARD: Mit dem Wechsel von Analog auf Digital stellen sich auch für die Sammlung des Hauses neue Prioritäten. Ihr Plan?

Loebenstein: Es muss auf absehbare Zeit eine hybride Lösung geben. Solange es geht, muss man analog, auf Film, sichern. Film ist das sicherste Format. Aber es ist illusorisch zu glauben, dass man die ganze Filmgeschichte über einen Kamm scheren kann. Es gibt Formate, bei denen die analoge Sicherung nicht medienadäquat wäre. Man muss auch digital sichern, und es braucht eine klare politische Strategie für beides, sonst besteht die Gefahr, dass man im Digitalen wiederum über Jahre ins Hintertreffen gerät. Es geht darum, die Institutionen aus ihrer Selbstgefälligkeit aufzuscheuchen.

STANDARD: Wie kann das gelingen?

Loebenstein: Vor allem die Republik muss, auch nach der Wahl, darüber nachdenken, welche Filmerbe-Politik sie eigentlich will. Es ist unumgänglich, dass hier Investitionen getätigt werden. Mit stagnierenden Finanzmitteln wird man diesen riesigen Rückstau nicht bewältigen können. Man kann da eine klare Ziffer hinschreiben, was das kostet.

STANDARD: Von welcher Summe ist da die Rede?

Loebenstein: Da reden wir schon von etlichen Millionen in einem relativ kurzen Zeitraum. In Österreich wird in den Film investiert – aber in die Produktion. Vergleichsweise wenig allerdings in das Nachleben. Auch wenn die Digitalisierung abgeschlossen ist, ist man mit den Folgekosten der Aufrechterhaltung konfrontiert. Die vermeintliche Verbilligung durchs Digitale ist ein Trugschluss.

STANDARD: Gerade sieht es jedoch so aus, als ob nicht einmal das von Kulturminister Drozda (SPÖ) angekündigte Filmpreservation Center verwirklicht werden würde.

Loebenstein: Wir sind gegenwärtig in Österreich richtig mies aufgestellt. Erstens gibt es kein Kopierwerk mehr, und das Filmpreservation Center, das ich für einen lobenswerten Denkanstoß hielt, scheint tatsächlich auf Eis gelegt zu sein. Gleichzeitig gibt es für die digitale Restaurierung keinen Plan und keine Infrastruktur. Es gibt dazu auch im Filmmuseum und im Filmarchiv Austria keine transparente und schlüssige Politik. In anderen Ländern geht die Debatte dahin, dass man das Analoge verteidigen muss, das Wissen und die Technik also behält und zugleich das Filmerbe digitalisiert.

STANDARD: Das heißt, das Filmpreservation Center ist unumgänglich. Allerdings ist es ja das Filmarchiv Austria, das dagegensteuert: Wie kommt man zu einer Lösung?

Loebenstein: Für das Filmmuseum kann ich sagen, dass wir kein Labor betreiben wollen. Ein Filmlabor muss als Einrichtung mehr als einem Haus zur Verfügung stehen. Es gibt ganz verschiedene Anforderungen, nicht nur der beiden Häuser, auch von unabhängigen Organisationen oder vonseiten des ORF mit seiner 16-mm-Nachrichtenbibliothek.

STANDARD: Mit dem Filmarchiv gab und gibt es auch programmatische Differenzen. Dort plant man etwa eine Kaurismäki-Schau, für die eigentlich das Filmmuseum zuständig wäre.

Loebenstein: Ich habe Ernst Kieniniger (Leiter des Filmarchivs, Anm.) nachdrücklich gesagt, dass er das absagen muss. Ich sehe nicht ein, dass er das realisiert, alle Kopien liegen bei uns. Ich verstehe die Programmpolitik des Filmarchivs nicht – darüber möchte ich reden. Ich habe keine Fehde ausgerufen, und wenn jemand einseitig eine ausruft, dann frage ich: Woher kommt das? Letztlich ist so eine Konkurrenzierung destruktiv, weil sie von der Frage wegführt, wie man Filmkultur in Zeiten der Fragmentarisierung überhaupt zugänglich macht. Das sind ja keine Privatkönigtümer. Im Moment lagern in diesen Archiven dunkle Objekte, von außen nur auf Anfrage sichtbar, alles sehr exklusiv und wienerisch.

STANDARD: Welche kuratorischen Änderungen sind unter Ihrer Leitung zu erwarten?

Loebenstein: Es wird eine Mischung, also eine Basisversorgung. Denn das Filmmuseum ist ein Ort, der dafür ausgestattet und dazu befähigt ist, wichtiges Autorenkino ebenso zu zeigen wie Genreretrospektiven. Das Schöne am Filmmuseum ist, dass man große Namen wieder zeigen kann, weil man sie einer neuen Generation nahebringt. Sicher wird sich das Programm aber stärker als bisher an Motivgeschichten des Kinos orientieren. Ich möchte da neue Zugänge entwickeln, zum Beispiel auch in Form eines Fixpunkts für den Dokumentarfilm.

STANDARD: Und die Avantgarde?

Loebenstein: Da möchte ich mir mehr weibliche Positionen ansehen – gerade im amerikanischen Bereich gibt es viele Frauen, im Kontext feministischer Filmpolitik und ganz nah am New American Cinema, die in Österreich noch nie präsentiert wurden. Etwa Barbara Hammer, die wir das erste Mal nach Wien holen,

STANDARD: Tendieren Sie zu kompletten oder selektiven Autorenretrospektiven?

Loebenstein: Vieles ist aufgrund seines Umfangs gar nicht komplett zu zeigen, etwa die Gesamtproduktion von Republic Pictures, die ich gern präsentieren würde, aber das wäre ein Zweijahresunterfangen. Anderes wiederum ist relativ einfach zu bewerkstelligen, etwa eine Werkschau zu Kathryn Bigelow, die schon im Dezember auf dem Programm steht. Hier stellt sich dann die spannende Frage nach dem Kontext, etwa zeitgenössische Filmemacherinnen wie Susan Seidelman.

STANDARD: Ist ein Modell der Dezentralisierung denkbar, also in den Bundesländern oder in den Außenbezirken präsent zu sein?

Loebenstein: Dezidiert. Die Frage, wo sich in der Stadt neue Kulturmöglichkeiten auftun, stellt sich immer. Als Wienheimkehrer, der ein paar Jahre Stadtentwicklung versäumt hat, finde ich es im Moment spannend, mir neue Hotspots anzusehen: Hauptbahnhof, Sonnwendviertel, Krieau, Seestadt Aspern, wo wir zum Beispiel mit Jugendlichen ein Projekt entwickelt haben. Für einen zweiten Standort fehlen uns aber im Moment die Finanzmittel. (Michael Pekler, Dominik Kamalzadeh, 28.9.2017)