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Bei Protesten stoßen Separatisten und Unabhängigkeitsgegner immer wieder aufeinander.

Foto: AP/Emilio Morenatti

Barcelona/Wien – Die Katalanen wollen es wissen: Diesen Sonntag soll trotz Widerstands in Madrid und eines Urteils des Verfassungsgerichtshofs ein Referendum zur Unabhängigkeit stattfinden. Die Abstimmung ist heftig umstritten, die möglichen Folgen ungewiss.

Frage: Was ist der aktuelle politische Status Kataloniens?

Antwort: Seit 1978 ist Katalonien – wie das Baskenland, Galicien und Navarra – eine autonome Gemeinschaft und verfügt so über ein besonders hohes Maß an Befugnissen in den Bereichen der Gesetzgebung, Verwaltung sowie Bildungs-, Gesundheits- und Wirtschaftspolitik. Das ist im sogenannten Autonomiestatut – auch Statut von Miravet genannt – festgelegt, das im September 2005 vorgestellt und am 18. Juni 2006 mit einem Referendum bestätigt wurde. Das Baskenland genießt allerdings mehr Vorzüge als Katalonien: So müssen Basken beispielsweise nicht beim spanischen Finanzausgleich einzahlen.

Frage: Seit wann wollen die Bewohner Kataloniens die Unabhängigkeit?

Antwort: Nachdem Spaniens Regierung Katalonien 2006 als Nation anerkannt hatte, wurde dieser Status 2010 nach einer Klage der konservativen Volkspartei (PP) unter Premierminister Mariano Rajoy wieder aberkannt. Seitdem hat sich die Zahl der Unabhängigkeitsunterstützer stetig erhöht, regelmäßig finden Massenkundgebungen statt.

Frage: Warum wollen sie die Unabhängigkeit?

Antwort: Die Katalanen fühlen sich historisch, sprachlich und kulturell als eigene Nation. Außerdem hat in Katalonien die Ablehnung gegen die Zentralgewalt eine lange Tradition, die zu Zeiten des Spanischen Bürgerkriegs (1936–1939) und der Franco-Diktatur (1939–1975) ihre bisherigen Höhepunkte erreichte. Diktator Francisco Franco erkannte Katalonien damals sämtliche Sonderrechte ab und verbot die katalanische Sprache. Außerdem ließ er 4.000 Katalanen hinrichten und nahm tausende als politische Gefangene fest.

Frage: Haben Separatisten in Katalonien eine Mehrheit, oder sind sie nur eine "laute Minderheit"?

Antwort: Im Parlament in Barcelona haben die separatistischen Parteien seit 2015 eine Mehrheit und bilden die Regierung: Junts pel Sí ("Zusammen für das Ja"), ein Bündnis der Demokratischen Konvergenz Kataloniens (CDC) und der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC), hält 62 der 135 Sitze, die ebenfalls separatistische Kandidatur der Volkseinheit (CUP) zehn. In Umfragen schwankt der Anteil der Unabhängigkeitsbefürworter seit einigen Jahren zwischen 40 und 50 Prozent.

Frage: Wer sind die Unabhängigkeitsgegner in Katalonien?

Antwort: Die größte Vereinigung von Unabhängigkeitsgegnern ist die Katalanische Zivilgesellschaft. Umfragen zufolge ist rund die Hälfte der Katalanen gegen die Abspaltung – 70 Prozent sind allerdings dafür, in einem Referendum zu entscheiden.

Frage: Könnte ein unabhängiges Katalonien finanziell und wirtschaftlich überleben?

Antwort: Das lässt sich schwer sagen: Zwar erwirtschaftet die Region ein Fünftel des Bruttoinlandsproduktes und ist für 22,5 Prozent des spanischen Tourismus verantwortlich. Unabhängigkeitsgegner wie Josep Lou, Präsident des Verbandes der katalanischen Unternehmer, befürchten allerdings einen Kollaps und einen Einbruch der Wirtschaft um bis zu 20 Prozent. Der Wirtschaftswissenschafter Luis de Guindos, der Mitglied des PP ist, nannte die Unabhängigkeit einen "wirtschaftlichen Selbstmord". Die Loslösung von Spanien würde zu Instabilität und Firmenflucht führen. Auch Spanien würde im Falle der Unabhängigkeit erhebliche finanzielle Schäden erleiden: Das Fünftel des BIPs, das sie verlieren würden, beträgt gut 220 Milliarden Euro. Oder wie manche sagen: "Ein ganzes Finnland."

Frage: Wie geht die Regierung unter Premierminister Rajoy mit der Situation um?

Antwort: Der PP will das Referendum mit allen Mitteln verhindern. Am 20. September ließ Premier Rajoy in der katalanischen Hauptstadt Barcelona 41 Durchsuchungen durchführen und ordnete die Polizei dazu an, rund neun Millionen Wahlzettel zu beschlagnahmen. Medienberichten zufolge wurden bei den Durchsuchungen 14 Menschen festgenommen. Um illegale Demonstrationen aufzulösen, hat Rajoy auch 3.000 Beamte von Spezialeinheiten nach Barcelona verlegt und die Zahl der Einsatzkräfte der Nationalpolizei und der Guardia Civil von 6.000 auf 10.000 Beamte aufstocken lassen. Die Guardia Civil ist eine Polizeieinheit, die sowohl dem Innenministerium wie dem Verteidigungsministerium unterliegt und deshalb sowohl zivile als auch paramilitärische Funktionen ausübt. Außerdem droht der Präsident regelmäßig damit, Artikel 155 der spanischen Verfassung einzusetzen, laut dem Spanien Katalonien jederzeit die Autonomie, die es jetzt hat, aberkennen kann.

Frage: Was ist die Motivation hinter Rajoys Handeln?

Antwort: Rajoy hofft darauf, so die seine Partei in die Ecke drängende Vereinigung Unidos Podemos (Gemeinsam können wir) schwächen zu können. Diese besteht aus der Partei Podemos, den Vereinigten Linken (IU), der grünen Partei Equo und mehreren kleinen Linksparteien, die die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens unterstützen. Bei den Parlamentswahlen 2015 hatte die neugegründete Gemeinschaftskandidatur auf Anhieb über 20 Prozent erreicht und den PP seine absolute Mehrheit gekostet.

Frage: Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Referendum, wie von Barcelona geplant, stattfindet?

Antwort: Aktuell eher unwahrscheinlich. Dem Sprecher der Regierung, Iñigo Méndez de Vigo, zufolge ist die Abstimmung durch die jüngsten Festnahmen und Sicherstellungen "logistisch endgültig deaktiviert". Um sicherzugehen, will Rajoy auch alle Wahllokale absperren lassen.

Frage: Ist das Referendum rechtlich erlaubt?

Antwort: Nein, denn wie auch bei den vorangegangenen Versuchen, ein Unabhängigkeitsreferendum durchzusetzen (zuletzt 2014), hat der spanische Verfassungsgerichtshof eine Abstimmung verboten. Das Verbot wurde einen Tag nach einer Abstimmung verhängt, die darüber entscheiden sollte, ob es überhaupt ein Unabhängigkeitsreferendum geben solle. In dieser Abstimmung hatte eine Mehrheit für ein Referendum gestimmt.

Frage: Was könnte passieren, falls das Referendum tatsächlich nicht stattfindet?

Antwort: Die spanische Regierung erwartet am Sonntag Ausschreitungen und gewalttätige Proteste und hat eine Urlaubssperre über die katalanische Regionalpolizei Mossos d’Esquadra verhängt. Sie soll dafür sorgen, dass das suspendierte Referendum nicht stattfindet. Für die Zeit des Referendums stehen die Mossos unter der Einsatzleitung von Oberst Diego Perez de los Cobos, der für die paramilitärische Guardia Civil arbeitet.

Frage: Was ist die Position der Mossos?

Antwort: Mossos-Chef Josep Lluís Trapero ist ein überzeugter Unabhängigkeitsbefürworter. Zu einem Treffen mit de los Cobos schickte er diesen Montag symbolisch seinen Stellvertreter, wie die spanische Zeitung "El País" berichtete. Auch Pere Soler, Generaldirektor der Mossos, erklärte, die Aufgabe der Regionalpolizei sei es, "die Rechte zu garantieren, und nicht deren Ausübung zu verhindern".

Frage: Was sind die internationalen Reaktionen?

Antwort: EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte kürzlich in einem Interview mit dem Sender Euronews, dass Katalonien im Falle einer Unabhängigkeitserklärung "automatisch" aus der Europäischen Union ausgeschlossen sei. Die USA hatten zwar Anfang September signalisiert, Kataloniens Unabhängigkeit womöglich anerkennen zu wollen, falls es dazu kommen sollte. In einem Statement am Dienstag gab Präsident Donald Trump jedoch bekannt, dass die USA die katalanische Unabhängigkeit nicht unterstützen würden. Seine Stellungnahme folgte auf einen Besuch von Rajoy. (Carla Márquez, 28.9.2017)