Nicht jeder kann das tragen. Tianzhuo Chen kann. Beziehungsweise kann er es tragen lassen. Der 32-jährige Chinese mischt in seinen Arbeiten unzählige Einflüsse. Und dreht auf.

Foto: Tianzhuo Chen

Graz – Folklore und Pop, Kitsch, Kommerz und Trash, Mythologie und Social Media – das Koordinatensystem, in dem sich Tianzhuo Chen bewegt, deckt die ganze Welt ab. Berührungsangst möchte man ihm nicht andichten. Die mangelnde Scheu vor etwas und jemand hat den 1985 geborenen chinesischen Künstler in den letzten Jahren raketenhaft in die asiatische und europäische Kunstszene starten und wie ein Feuerwerk Funken sprühen lassen.

2009 ist er vom prestigeträchtigen Central Saint Martins College of Art and Design in London ans nahegelegene Chelsea College of Art weitergezogen, hat dort sein Studium 2010 abgeschlossen und wurde schnell in Sammelschauen in New York, Berlin, Schanghai gezeigt und bereits 2015 im renommierten Palais de Tokyo in Paris mit einer Personale abgefeiert.

Man gönnt sich sonst wenig

Dort zeigte er Videos mit brennend um die eigene Achse rotierenden Gottheiten oder psychedelischen Mustern, halbnackte, mit Ketten und Körperbemalungen geschmückte Tänzer, Mangafiguren ähnelnde Skulpturen, Glasobjekte, riesige Gummipuppen. Unbescheiden gab er ihr einfach seinen Namen. In Großbuchstaben. Man gönnt sich ja sonst wenig.

Vom bildbasierten Grafikdesign und der bildenden Kunst aus greift Chen seither immer weiter um sich. Bei den heurigen Wiener Festwochen als Eröffnungsproduktion zu sehen war sein Opern-Happening Ishvara. Wer sich Streicher und Bläser erwartet hatte, bekam es mit massig Beats zu tun. Willkommen im Club.

Dekonstruieren und neu zusammenbauen, das macht Tianzhuo Chens Kunst aus. Eine "hybride und gleichermaßen ekstatische Leichenfledderei" sei die beim Steirischen Herbst in Graz anstehende Uraufführung von An Atypical Brain Damage also.

Willkommen in der Pop-Oper

Mit einer sich ungebrochen globalisierenden Kommerz- und Kulturindustrie und einem die Grenzen von U und E immer weiter erodieren lassenden Kunstverständnis auf seiner Seite, wirft Chen also West und Ost gleichermaßen in die Rührschüssel. Und dreht auf. Nicht nur den Mixer.

Alles ist etwas bunter, lauter, größer und grotesker bei Chen. Und es wummert. Als Pop-Oper ist auch An Atypical Brain Damage angekündigt. Großstädtische Fashionarroganz soll dabei unter anderem auf die Camouflagejacken chinesischer Bauern treffen. Ein Scharnier findet sich immer.

Mittlerweile lebt Chen in Schanghai und Peking. "Das Europäische" und "das Asiatische" als ergänzende Gegensätze erweisen sich für ihn auch deshalb als dankbare Zutaten, weil sie von allerlei falschen Annahmen über das jeweils andere durchzogen sind. Seien das nun Vorurteile oder träumerische Projektionen. Auch die Extravaganz und selbstgewählte Exotisierung einer kommerzialisierten asiatischen Identität interessieren ihn.

"Fiktionale Religion" im Dom

Von einer "fiktionalen Religion" und deren Erfahrungen, die er auf der Bühne beziehungsweise in einem Ausstellungsraum erschaffen wolle, spricht er vielleicht auch deshalb oft, wenn er zu seinen Arbeiten befragt wird. Passend: Statt Bühne und Tribüne erwartet das Publikum im Dom im Berg ein installativer Bühnenraum.

Man sollte ihn – nach all der Kommerzkritik und dem weltkulturellen Selbstbedienungsladen – aber nicht als Wühltisch missverstehen! Auch wenn Überraschungen hinter dem nächsten Handgriff der Performer lauern: LGBT-Kultur, Drag, Buddhismus, das nach dem Zweiten Weltkrieg in Japan entstandene und festen Formen seither trotzende Butoh.

Das im Vergleich dazu beinah antiquiert wirkende postmoderne Anything goes sollte immer einmal wieder befragt, gängige Codes und Ikonografien überprüft werden. Ob Chens auf Lichtgeschwindigkeit hochgetriebene "Performance/Party" einen erhellenden Beitrag bieten kann? Identitätsfragen sind aktuell. Und man darf sich hin und wieder auch feiern. (Michael Wurmitzer, Spezial, 29.9.2017)