Abwechslungs- und einfallsreich, dabei begründet und präzise sind die Arbeiten der 38-jährigen Marlene Monteiro Freitas. In ihrer Wahlheimatstadt Lissabon ist sie Mitglied des Kollektivs Bomba Suicida.


Foto: Felipe Ferreira

Graz – Die Bacchantinnen sind die Verehrerinnen des Gottes Dionysos. Der Freude, dem Rausch und dem Wein zugetan, kennt der Hansdampf griechischer Antike aber auch den Zorn. Im Alter von fast 80 Jahren hält der Dichter Euripides (480-406 v. Chr.) das fest. Gegen Ende des peloponnesischen Krieges hat er Athen verlassen und ist nach Makedonien ausgewandert, unter dem Eindruck der nun hinter ihm liegenden Kriegshandlungen schreibt er als sein letztes Drama das düstere, grausame Die Bakchen.

Es erzählt von der Rückkehr des Dionysos in seine Geburtsstadt Theben, der Gott hat sich in Menschenaufmachung geworfen. Thebens Bewohner wollen seine Göttlichkeit nicht anerkennen, zur Strafe lässt er alle Frauen in einen Wahn verfallen, der sie aus der Stadt führt. Sie leben fortan mit wilden Tieren, berauschen sich am Wein, feiern Orgien, entwickeln zerstörerische Kraft gegen jeden, der in ihrem Weg steht. Unter ihnen ist auch die Mutter des Pentheus, des Herrschers von Theben. Der will dafür Rache an Dionysos, wird aber stattdessen durch die eigene Mutter zerfleischt. Sie erkennt ihn zu spät.

Ein Stoff wie gemacht für Marlene Monteiro Freitas. Exzentrisch, schräg und komisch, exzessiv und sinnlich, kühl-abstrakt und zugleich körperlich werden die Choreografien der 38-Jährigen gern genannt. Auf den Kapverden geboren hat sie erst an der Brüsseler P.A.R.T.S.-Schule studiert, dann an der Escola Superior de Dança (ESD) und der Fundação Calouste Gulbenkian in Lissabon.

Von dort aus ist sie schon öfters auch nach Österreich gekommen, etwa zu den Wiener Festwochen oder zu Impulstanz. Dort war sie heuer mit dem Duett Jaguar (mit Andreas Merk) zu sehen, einem letztlich ins Unerfüllte laufenden Liebesverlangen.

Delirium, Hysterie, Trance

Euripides' Wiedergabe hat Freitas zu Bacchae – Prelude to a Purge inspiriert, beim Steirischen Herbst ist es als österreichische Erstaufführung zu sehen. Freitas inszeniert darin das Abbild einer Welt, die aus den Fugen geraten ist. Delirium, Unvernunft, Hysterie, Wahnsinn und Trance reichen einander dazu die Hände. Der erkenntnistheoretisch dramatischen Achterbahnfahrt Blendung-Blindheit-Offenbarung geht Freitas mit 13 Performerinnen und Performern nach.

Live dabei beim Tauchgang in die menschliche Psyche – in deren Fähigkeit zur Grausamkeit und deren Wunsch nach Frieden, in deren Wildheit und Sehnsucht nach einem einfachen Leben – darf man dann selbst über die kathartische Kraft des Theaters entscheiden. Und ob ein 2400 Jahre alter Mythos in die Gegenwart geholt ebenso begeistern kann wie damals, als Euripides 405 v. Chr. für Die Bakchen bei den Tragödienwettbewerben in Athen posthum den ersten Preis gewann. (Michael Wurmitzer, Spezial, 29.9.2017)