Istanbul-Chef: Kadir Topbaş.

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Topbas' Nachfolger Mevlüt Uysal.

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Istanbul/Athen – "Materialermüdung" nannte es Tayyip Erdoğan, der türkische Staats- und Parteichef, vor Monaten, und sein drohendes Wort klingelt seither landauf, landab in den Ohren von Abgeordneten, Bürgermeistern und Funktionären seiner konservativ-islamischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP). Nach 15 Jahren an der Macht knirscht es im Gebälk der so erfolgreichen türkischen Volkspartei. Wer sich müde fühle, möge sein Amt zurücklegen, empfahl Erdoğan seinem Parteivolk. "Ich bin nicht müde", machte der Bürgermeister von Istanbul klar und trat am Freitag vergangene Woche doch zurück.

Der Abtritt von Kadir Topbaş, dem Chef der 17-Millionen-Metropole, zog den Vorhang über die Grabenkämpfe in der Regierungspartei weg. Am Donnerstag beeilte sich die AKP, einen neuen Bürgermeister ins Amt zu hieven. Mevlüt Uysal, Bürgermeister des Stadtteils Başakşehir weit im Westen Istanbuls, galt als Favorit. Vielen aber auch nur als Zwischenlösung bis zu den nächsten Wahlen.

Topbaş fühlte sich kompromittiert durch die eigene Fraktion im Stadtparlament. Istanbuls Bürgermeister, ein frommer Architekt, hatte sein Veto gegen fünf große Bebauungspläne eingelegt, die mit den Stimmen der AKP-Abgeordneten angenommen worden waren. Die Aufforderung des Bürgermeisters, die Pläne zu überarbeiten, beeindruckte sie nicht. Die AKP-Fraktion überstimmte das Veto von Topbaş. Die Autorität des 72-Jährigen schien dahin.

Schwiegersohn festgenommen

In Wahrheit war Topbaş schon angeschlagen. Im Juni war sein Schwiegersohn kurzzeitig festgenommen worden als angebliches Mitglied der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen. Er kam – ganz anders als die unter Terrorvorwürfen inhaftierten Journalisten und Bürgerrechtler in der Türkei – schnell wieder frei, ebenso wie der als "Gülenist" festgenommene Schwiegersohn des früheren Parlamentspräsidenten und AKP-Schwergewichts Bülent Arınç.

Für die AKP war das ein Schock. Wie ein Damoklesschwert hängt die gemeinsame Vergangenheit mit der Gülen-Bewegung über der Regierungspartei. Immer wieder kursieren Gerüchte über amtierende und frühere Minister, die in Wahrheit "Gülenisten" seien. Die große Säuberung ist bisher ausgeblieben, anders auch als in den Behörden, bei Polizei, Armee und in den Medien.

Erdoğans Sorge wegen der Kommunalwahlen im Frühjahr 2019 kommt hinzu. Bei seinem Verfassungsreferendum im April dieses Jahres verfehlte er in den drei größten Städten des Landes – Istanbul, Ankara und Izmir – die Mehrheit. Der Staatschef drängt deshalb auf neue jüngere Gesichter in der Partei. (Markus Bernath, 28.9.2017)