Bild nicht mehr verfügbar.

In Barcelona demonstrierten Bauern am Freitag für ein Ja beim Referendum.

Foto: REUTERS/Juan Medina

STANDARD: Wie konnte Spanien an diesen Punkt gelangen?

Zarza: Die Lage spitzt sich seit 2006 zu. Damals wurde in Katalonien ein neues Autonomiestatut ausgearbeitet. Der Partido Popular (PP) des Premiers Mariano Rajoy sammelte Unterschriften dagegen und zog vor das Verfassungsgericht, wo das Statut gestoppt wurde. Hinzu kam die Wirtschaftskrise, die die zu jenem Zeitpunkt in Spanien und in Katalonien regierenden Sozialisten in ihrer Glaubwürdigkeit schwer traf. 2011 entstand dann die Bewegung der "Empörten", der 15-M. Die Unabhängigkeitsbewegung profitierte von dieser Unzufriedenheit. Aus dem "Sie vertreten uns nicht" wurde eine Art "Spanien vertritt uns nicht". Zusammen mit dem Slogan "Spanien bestiehlt uns" bildet dies die Grundlage für das, was wir heute erleben.

STANDARD: Wie kann diese Empörung zu einer Bewegung führen, der mit der PDeCat des Autonomiepräsidenten Charles Puigdemont auch jene Partei angehört, die für die Sparpolitik und die Korruption in Katalonien steht?

Zarza: Klar ist die PdeCat die Partei der Korruption. Gegen die gesamte Familie des ehemaligen katalanischen Regierungschefs und Gründers der PdeCat-Vorgängerpartei, CiU, Jordi Pujol, wird ermittelt. Doch bei einer Mischung aus nationalistischen Ideen und sozialen Beweggründen ist die nationale Frage oft stärker und überdeckt alles andere.

STANDARD: Welche Fehler hätte Madrid vermeiden sollen, um nicht in die heutige Lage zu kommen?

Zarza: Das Hauptargument, das Rajoy den Befürworten der Unabhängigkeit geliefert hat, ist sein rechtlicher Streit gegen das Autonomiestatut. Die Katalanen sehen das als schweren Angriff. Hinzu kommt, dass der PP, als er an die Regierung kam, nicht in der Lage war, politische Mechanismen zu entwickeln, um auf die Forderungen der Katalanen zu antworten. Stattdessen setzte er nur auf die Justiz und die Institutionen.

STANDARD: Ist eine Lösung des Konfliktes überhaupt noch möglich?

Zarza: Dafür müssten alle Parteien gemeinsam eine Verfassungsreform ausarbeiten, die es erlaubt, die Meinung der Menschen in den einzelnen Regionen abzufragen.

STANDARD: Sie meinen damit die Möglichkeit eines Referendums in beiderseitigem Einverständnis?

Zarza: Es muss darum gehen, verschiedene Aufgaben einer Verfassung unter einen Hut zu bekommen. Zum einen muss sie gleiche Rechte für alle garantieren und gleichzeitig Platz für unterschiedliche Sensibilität bieten. Québec ist ein Beispiel. Aber dafür ist es notwendig, dass alle Parteien gemeinsam handeln, dass sie aus ihrer jeweiligen Blase herauskommen, die dazu führt, den anderen nicht wahrzunehmen. Alles andere würde Spanien und Europa sehr teuer zu stehen kommen.

STANDARD: Wenn es nicht gelingt, den Konflikt gütlich zu lösen, läuft dann ganz Spanien Gefahr, auseinanderzufallen? Etwa in Hinblick auf die Basken, auf Galicien.

Zarza: Das ist schwer vorherzusagen. Aber wenn wir andere Fälle anschauen, lernen wir, dass sich die Wogen auch wieder glätten können. Ich denke da an den Konflikt um ein neues baskisches Statut vor zehn Jahren oder an die hitzige Auseinandersetzung um die Québec-Frage. Manchmal schlagen die Wellen hoch, und danach wird es dann wieder ruhig. Allerdings, wenn in solchen Momenten ein kritischer Punkt überschritten wird, ist eine Lösung anschließend sehr, sehr schwierig.

STANDARD: Haben wir diesen kritischen Punkt mit dem Vorgehen von Polizei und Justiz in Katalonien nicht bereits hinter uns gelassen?

Zarza: Das Bild der vielen Uniformen schockiert. Doch wenn wir den Sonntag ohne größere Auseinandersetzungen hinter uns lassen, sehe ich noch immer die Möglichkeit für eine Dialoglösung. (Reiner Wandler, 30.9.2017)