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Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan lässt einer Einigung mit den irakischen Kurden vorerst noch die Tür offen – allerdings drohen andere Mitglieder seiner Regierung zugleich mit einem Einmarsch.

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Kaum jemand beherrscht so sehr die Kunst, hinter der platten Realität haarsträubende Verschwörungen aufzudecken, wie türkische Politiker und die um sie kreisenden Professoren und Kolumnisten. Das jüngste Beispiel liefert hierfür das mittlerweile eine gute Woche alte Unabhängigkeitsreferendum der Kurden im Nordirak. Für den Politikwissenschafter Mustafa Sitki Bilgen, einen in regierungsnahen türkischen Medien oft bemühten Fachmann, liegt die Sache auf der Hand: Mit dem Referendum im Nordirak und den Operationen der PKK in Syrien soll die Türkei von zwei Seiten eingekreist und dann geteilt werden, so erklärte der Professor dieser Tage der türkischen Öffentlichkeit. Von den Völkern und Staaten des früheren Osmanischen Reichs werde die Türkei auf diese Weise abgeschnitten. Und schlimmer noch: "Das Projekt Großisrael wird damit auch ins Leben gerufen."

Geografisch mag das zwar nicht recht einleuchten. Schließlich liegt noch das Syrien des mittlerweile gefestigten Präsidenten Bashar al-Assad zwischen Israel und den Kurden. Doch Bilgen, der Studenten an der Yıldırım-Beyazit-Universität in Ankara unterrichtet und dort ein Institut für Strategische Studien der internationalen Beziehungen leitet, führt mit seiner Enthüllung nur einen Gedanken des türkischen Staatschefs fort. Israelische Fahnen seien ja bei den Jubelfeiern nach dem Referendum in Erbil zu sehen gewesen, sagte Tayyip Erdoğan bei einem seiner öffentlichen Auftritte am vergangenen Wochenende. Das bedeute, der Mossad sei mit der Regierung der Kurden im Bunde, folgerte der Staatspräsident.

Wilde Behauptungen ohne Beleg

Tatsächlich war Israels Regierung unter den wenigen internationalen Unterstützern dieses Referendums. Israels Premier Benjamin Netanjahu hatte sich wenige Tage vor der Abstimmung in einer offiziellen Erklärung hinter "die legitimen Bemühungen des kurdischen Volks, einen eigenen Staat zu erreichen", gestellt. Israel und die Autonomieregierung in Erbil hätten auch eine Abmachung geschlossen, behaupteten nun religiös-nationalistische Schreiber in der Türkei. 200.000 jüdische Kurden würden nach der Unabhängigkeit im Nordirak angesiedelt, hieß es – jedoch ohne den geringsten Beleg. Die angebliche israelisch-kurdische Allianz ist ein alter Hut im Schrank der türkischen Verschwörungstheorien, trägt aber jetzt zur schnellen Annäherung zwischen der Türkei und dem Iran bei, den beiden still rivalisierenden Regionalmächten.

Der türkische Armeechef reiste vergangenen Sonntag erstmals nach Teheran und erwiderte damit einen Besuch seines iranischen Kollegen im August. Erdoğan wird am Mittwoch ebenfalls in der iranischen Hauptstadt sein und gemeinsam mit Staatspräsident Hassan Rohani ein bilaterales Regierungstreffen leiten.

Gerüchte über Militärintervention

Man habe sich darauf verständigt, derzeitige Bedrohungen und Gefahren gemeinsam zu begegnen, wurde der türkische Armeechef Hulusi Akar nach seinen Gesprächen in Teheran zitiert. Akar nannte die Sicherheit der Grenzen und die Frage der Terrorbekämpfung – also Operationen gegen die PKK wie auch gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat". Doch gestreut werden Gerüchte über eine türkisch-iranische Militärintervention zur Besetzung der Ölstadt Kirkuk. Sie wird seit dem spektakulären Vorstoß des IS 2014 von der Miliz der kurdischen Autonomieregierung kontrolliert.

Spekuliert wird gar über einen Einmarsch der irakischen Armee in den abtrünnigen Norden. Die Truppen würden dabei auch über die Türkei und den Iran in die Kurdenregion eindringen. Das alles scheint kaum mehr als eine Drohkulisse, um den kurdischen Präsidenten Massud Barzani zum Widerruf des Referendums zu zwingen. Barzani ließ am Dienstag, wie Anfang September angekündigt, vorgezogene Parlaments- und Präsidentenwahlen zum 1. November anordnen – er selbst regiert seit 2015 ohne Parlament und Mandat und will angeblich nicht mehr kandidieren.

Markt für türkische Produkte

Erdoğan wiederum ließ für die bis vor kurzem noch mit Ankara verbündeten Kurden im Nordirak immer noch Türen offen. "Wir kommen derzeit mit einigen Embargos im Nordirak aus, aber wenn sie nicht zur Vernunft kommen, wird das zunehmen", sagte er vor seinen Parlamentsabgeordneten. Bisher sind nur die Flugverbindungen unterbrochen und der Grenzverkehr verlangsamt.

Denn nach Deutschland und Großbritannien ist der Irak, besonders aber der kurdische Norden, der wichtigste Exportmarkt für türkische Unternehmen. Auf eine Abschottung und jahrelange Grenzschließung wie im Fall von Armenien sollte man keinesfalls hinarbeiten, mahnte dieser Tage Etyen Mahçupyan, ein türkisch-armenischer Kolumnist und Berater des früheren Regierungschefs Ahmet Davutoğlu. (Markus Bernath aus Istanbul, 3.10.2017)