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Jalal Talabani war nach der Invasion der US-geführten Truppen von 2005 bis 2014 Staatspräsident des Irak. Der Kurdenpolitiker ist am Dienstag im Alter von 83 Jahren verstorben.

Foto: AP / Hadi Mazban

Was am 7. April 2005 Realität wurde, hätte sich Jalal Talabani wenige Jahre zuvor nicht vorstellen können: An diesem Tag wurde der 1933 geborene Kurde, der fast sein ganzes Leben der Auseinandersetzung mit Bagdad gewidmet hatte, vom irakischen Interimsparlament zum Staatspräsidenten der Republik Irak gewählt. Sein Mandat wurde nach den ersten verfassungsmäßigen Wahlen, die im Dezember 2005 stattfanden, erneuert und 2010 noch einmal verlängert.

2014 wurde Talabani, von vielen liebe- und respektvoll "Mam" (Onkel) Jalal genannt, von Fuad Massum, ebenfalls einem Kurden, abgelöst. Talabani war da bereits fast zwei Jahre amtsunfähig: Er hatte im Dezember 2012 einen Schlaganfall erlitten; zur Behandlung nach Deutschland gebracht, kehrte er erst eineinhalb Jahre später wieder in den Irak zurück. Die Berichte über seinen tatsächlichen Zustand waren widersprüchlich, es gab zwar einige wenige Bilder von ihm, aber es hieß, dass er nicht mehr sprechen konnte. Nun ist Jalal Talabani kurz vor seinem 84. Geburtstag in Deutschland, wo er wieder zur Behandlung hingebracht worden war, verstorben.

Integrationsfigur

Talabani war eigentlich nicht, wie es oft heißt, der erste irakische Präsident nach dem 2003 gestürzten Saddam Hussein: Das war vor ihm ein knappes Jahr lang der sunnitische Araber Ghazi al-Yawer, auch wenn dieser nur als ernannter Interimspräsident fungierte. Aber wie kein anderer verkörperte die Integrationsfigur Talabani, der persönlich von einer großen Liebenswürdigkeit war, die Hoffnung auf einen neuen Irak, in dem Kurden und Araber, Sunniten und Schiiten und andere Religionen friedlich miteinander leben würden. Sie sollte sich nicht erfüllen. In seine erste Periode als Präsident fiel der schiitisch-sunnitische Bürgerkrieg, und als er im Juli 2014 aus Deutschland in den Irak zurückkehrte, hatte der "Islamische Staat" bereits Mossul eingenommen und sein "Kalifat" gegründet.

Ob Talabani das Referendum am 25. September, in dem sich die Kurden für die Trennung vom Irak aussprachen, noch bewusst miterlebt hat, ist nicht bekannt. Seiner Heimat drohen nun neue Gefahren: Bagdad, aber auch die Nachbarländer Türkei und Iran reagieren äußerst feindlich auf den kurdischen Unabhängigkeitswunsch.

Politik schon als Teenager

Talabani, aus Kalkan im Nordosten Irakisch-Kurdistans stammend, wurde schon als Teenager politisiert und trat der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) bei. Als er 1956 als Jusstudent in Bagdad die Studentenunion Kurdistans gründete, war der Irak noch eine haschemitische Monarchie. Als ihm die Verhaftung drohte, verließ er Bagdad und konnte erst nach der Revolution weiterstudieren. Nach seinem Abschluss diente er in der Armee und begann journalistisch zu arbeiten.

Das Muster, das nach dem Putsch von General Abdulkarim Qassim 1958 einsetzte, sollte sich auch später wiederholen: Bei jedem Umsturz im Irak erhofften sich die Kurden mehr Rechte und Autonomie, stets wurden ihnen Versprechungen gemacht, die nie gehalten wurden. 1961 wurde der bewaffnete Kampf gegen Bagdad aufgenommen, Talabani nahm als erfolgreicher Truppenkommandant teil. In den Jahren danach – inzwischen war im Jahr 1963 Qassim in Bagdad weggeputscht worden, die an die Macht gekommenen Baathisten wurden ein paar Monate später wieder von den Nationalisten vertrieben – baute Talabani aber auch erste politische Kontakte nach Europa auf, um die kurdische Sache zu propagieren.

Kurdische Spaltung

Ebenso taten sich jedoch Mitte der 1960er-Jahre erste Konflikte mit der KDP-Führung von Molla Mustafa Barzani auf, dem charismatischen Kurdenführer und Vater des heutigen Präsidenten der kurdischen Regionalregierung, Massud Barzani. Der Bruch kam aber erst 1975: Talabani gründete gemeinsam mit einer Gruppe um seinen Schwiegervater, den ebenfalls legendären Ibrahim Ahmed, die PUK, die Patriotische Union Kurdistans, die fortan in Konkurrenz zur KDP stand. Die Unterschiede zwischen KDP und PUK äußerten sich tribal und territorial – Erbil versus Suleymaniya –, waren aber auch ideologisch. Während die KDP nationalistisch-konservativ war, war die PUK Teil der linken Internationale.

Das Jahr 1975

1975 war ein katastrophales Jahr für die irakischen Kurden geworden: Auch das Tauwetter nach dem Putsch, der 1968 die Baath-Partei mit dem späteren starken Mann Saddam Hussein an die Macht brachte, war längst beendet, alle Versprechungen hatten sich in nichts aufgelöst. Der iranische Schah hatte den militärischen Kampf der Kurden gegen Bagdad unterstützt, nach dem iranisch-irakischen Algier-Abkommen von 1975 fiel jedoch die iranische Hilfe weg, und der Widerstand brach zusammen.

Noch viel schlimmer aber wurde es während des Irak-Iran-Kriegs 1980 bis 1988, den Saddam Hussein als Vorwand für eine Vernichtungskampagne gegen die Kurden, als "Anfal" in die Geschichte eingegangen, benützte. Der damals unter iranischer Kontrolle stehende Ort Halabja wurde 1988 mit Giftgas angegriffen.

Talabani lebte verschiedentlich im Exil, in London und im Iran. Als Saddam Hussein im Golfkrieg 1991 geschlagen wurde, kehrte er zurück: Die irakischen Kurden ergriffen zuerst die Chance auf einen Aufstand, später auf Selbstverwaltung in ihrer von der Uno als "safe haven" – gegen Saddam Husseins Angriffe – eingerichteten Zone. Das erste demokratische Experiment endete Mitte der 1990er-Jahre jedoch erst einmal in einem Bürgerkrieg zwischen KDP und PUK: Als sich Talabani auf iranische Hilfe zu stützen begann, rief Barzani die Truppen Saddam Husseins nach Kurdistan.

Gemeinsames Projekt Kurdistan

Gerade diese katastrophale Erfahrung half wohl den beiden Kurdenführern vor der US-Invasion im Irak im März 2003 dabei, eine strategische Entscheidung zur Zusammenarbeit zu treffen, die trotz aller Unterschiede und Streitereien prinzipiell halten und funktionieren sollte. Die Zusammenlegung der beiden getrennten Verwaltungen in Erbil und Suleymaniya war eine Arbeit, die Jahre in Anspruch nahm, sie ist geglückt, aber noch nicht abgeschlossen. Die Kurden waren nach 2003 aber auch stark in Regierung und Parlament in Bagdad vertreten. Gleichzeitig liefen harte Auseinandersetzungen zwischen Bagdad und Erbil, dem Sitz der kurdischen Regionalregierung, über die verfassungsmäßigen autonomen kurdischen Rechte.

Seit Talabanis Krankheit war die PUK von Schwäche und Spaltung heimgesucht, heute hat sie stark an die Protestpartei Gorran verloren. Ob mit Talabani auch das Ende der PUK gekommen ist, wie es manche Beobachter voraussagen, wird man sehen. Seine Frau Hero Ibrahim Ahmed, die in ihrer Jugend ebenfalls im Widerstand in den kurdischen Bergen lebte und später auch als selbstbewusste moderne politische Frau bewundert wurde, kümmerte sich in den vergangenen Jahren um die Partei, rief aber auch Kontroversen hervor. Ein Sohn der beiden, Qubad, ist in der Politik, der andere, Bafil, Geschäftsmann.

Mehr als zehn Jahre nach dessen Hinrichtung bei Nacht und Nebel denkt man nun auch mit Befriedigung daran, dass Saddam Hussein noch am Leben war, als Jalal Talabani erstmals Präsident wurde und auch noch, als er vom ersten unter der neuen Verfassung gewählten Parlament 2006 bestätigt wurde. Talabani hat das Todesurteil Saddams nicht unterschrieben, das hat der irakische Premier Nuri al-Maliki in einem Eilverfahren getan. (Gudrun Harrer, 3.10.2017)