Peter Resetarits vor dem Wiener Landesgericht für Strafsachen in Wien. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1998.

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Helmut Berger (Rechtsanwalt), Hermann Gallent (Richter), Alfred Boran (Rechtsanwalt) und Peter Resetarits mit Team, 1997.

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Peter Resetarits im Gerichtssaal, 1998.

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Das aktuelle Team von "Am Schauplatz Gericht": Ludwig Gantner, Gudrun Kampelmüller, Peter Resetarits, Maria Zweckmayr.

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Am 3. Oktober 1997 lief auf ORF 2 die erste Ausgabe von "Am Schauplatz Gericht". Das Team rund um Sendungschef Peter Resetaris bearbeitete seitdem 181 Fälle. Die Quote stimmt noch immer, 2017 waren im Schnitt 618.000 Zuschauer dabei.

STANDARD: Die erste "Am Schauplatz Gericht"-Sendung lief im Oktober 1997 im ORF. Wie kamen Sie damals auf die Idee, dass Gerichtsprozesse für das Fernsehen interessant sein könnten?

Resetarits: Ich habe beim ORF in der Jugendredaktion gearbeitet und gleichzeitig Jus studiert. Während eines Rechtspraktikums haben mich Zivilprozesse total begeistert. Diese Prozesse um Familiensachen, Nachbarschaftsstreitigkeiten, Erbschaften wurden in Medien damals nie abgehandelt, es ging immer nur um Strafrechtsprozesse. Ich fand auch Scheidungsprozesse extrem spannend. Die Frau erzählt ihre Geschichte, man glaubt ihrer Aussage. Alles klar, sie ist das Opfer, der Mann das Letzte. Und dann reden der Mann und sein Anwalt, und die Geschichte dreht sich plötzlich um 180 Grad. Ich habe mir gedacht, diese Dramaturgie – alles noch einmal umzudrehen und beide Seiten zu beleuchten – müsste eigentlich fernsehtauglich sein.

STANDARD: Und der ORF ist gleich auf die Idee aufgesprungen?

Resetarits: Ich habe dem damaligen ORF-General Gerhard Zeiler einen Piloten vorgelegt. Es ging um eine Scheidungsverhandlung, wir haben diesen Prozess dokumentiert und zusammengeschnitten. Zeiler hat sich die VHS-Kassette binnen zwei Tagen angeschaut, es gefiel ihm ganz gut. Der Titel "Am Schauplatz Gericht" stammt von ihm.

STANDARD: Der Fall im Piloten kam dann auch in der ersten regulären Ausgabe vor?

Resetarits: Ja, das war der erste ausgestrahlte Fall. Wir nannten ihn ganz originell "Scheiden tut weh". In der Sendung wurde auch erstmals über das Thema Mediation berichtet. Ich dachte, es heißt Meditation. Wir haben das dann noch kurz vor der Mischung korrigieren können. In der zweiten Folge waren schon Nachbarschaftskonflikte Thema, sie hatte über 800.000 Zuschauer.

STANDARD: Wie haben Juristen auf die Sendung reagiert? Was hat sich verändert?

Resetarits: Mit denen haben wir uns am Anfang schwergetan. Anwälte hatten zum Teil Bedenken, ob es wegen des Standesrechts zu Problemen kommt, wenn sie in der Sendung auftreten. In den ersten Jahren gab es zehn bis 15 Anwälte, mit denen wir zusammengearbeitet haben. Die sind dann recht häufig vorgekommen. Das hat sich geändert. Mittlerweile kommen 70 Prozent der Geschichten per Post oder per Mail. Davon nehmen wir circa jeden zehnten Fall. Ein paar Geschichten kommen noch immer über Anwälte, die sich möglicherweise durch die Öffentlichkeit Unterstützung erhoffen oder eine werbliche Wirkung.

STANDARD: Nach welchen Kriterien werden die Fälle ausgesucht?

Resetarits: Sie müssen eine gewisse Relevanz haben, und sie müssen nachvollziehbar erklärbar sein. Wir scheitern manchmal bei komplexen wirtschaftsstrafrechtlichen Causen. Da tun wir uns schwer, den Sachverhalt so zu erklären, dass man nicht gleich einschläft. Wir schauen immer, dass wir beide Seiten bekommen, wollen jeden Standpunkt möglichst objektiv und fair herausarbeiten.

Erstens, weil es ethisch und moralisch in Ordnung sein soll, und zweitens, weil es so auch dramaturgisch viel spannender ist, die Geschichte einmal von der einen Seite aus zu erzählen und sie dann auch von dem anderen Blickwinkel zu beleuchten. Es geht darum, den Leuten zu zeigen, dass nicht alles schwarz oder weiß, gut oder schlecht ist. Es sind die Grautöne, über die Richter zu entscheiden haben. Ich bin oft froh, dass ich nicht der Richter bin und sagen muss, wer gewinnt und wer verliert.

STANDARD: Sie schaffen es immer, objektiv zu sein?

Resetarits: Ein interessantes Phänomen ist, dass neue Mitarbeiter dazu neigen, dem Beschwerdeführer zu glauben. Er erzählt als Erster die Geschichte, man findet ihn vielleicht sympathisch. Dann ist man fast ein bisschen wie ein Anwalt geneigt, alles durch die Brille des Beschwerdeführers zu sehen. Und Dinge, die für die andere Partei sprechen, ein wenig runterzuspielen, den Gegner weniger vorkommen zu lassen. Da muss man dagegenarbeiten. Mein Naturell würde ich als "einerseits und andererseits" bezeichnen.

STANDARD: Wird Ihnen das auch vorgeworfen?

Resetarits: Ja, das kommt vor. Manche Zuschauer fragen, was denn das für Berichterstattung sei. Mit all diesen Konjunktiven. Manchmal werde ich gefragt: Und wo stehst du eigentlich? Meine Antwort: In dieser Sendung stehe ich wirklich in der Mitte. Ich wurde in den 20 Jahren so oft angelogen, Geschichten waren oft so haarsträubend anders, als ich ursprünglich gedacht hatte, dass ich niemandem mehr irgendetwas glaube. Ich werde von meiner Redaktion oft geschimpft, warum ich schon wieder so skeptisch bin, alles miesmache und den Teufel an die Wand male. Ich bin überkritisch, und manchmal fehlt mir fast ein bisschen die Empathie.

STANDARD: Sie begleiten Fälle oft über längere Zeit, lernen die Protagonisten immer besser kennen. Wie schaffen Sie es, loszulassen und abzuschalten?

Resetarits: Das ist wie bei einem Arzt, der dauernd arge Operationen durchführt. Am Anfang nimmt einen das noch mit. Aber mit der Zeit lernt man, dass man diese Sachen nicht mit nach Hause nehmen kann und man eine Trennlinie zwischen Privatleben und Job ziehen muss. Das gelingt mir ganz gut. Es gibt wenige Geschichten, die mich so beschäftigen, dass ich zu Hause noch darüber reden muss.

STANDARD: Was war so ein Fall, der sie auch nach Arbeitsschluss beschäftigt hat?

Resetarits: Die Geschichte eines neunjährigen Buben, der in Wien-Floridsdorf von einem Bus überfahren wurde. Der Bub hatte schwerste Verletzungen. Der Fahrer war schuld, es ging um die Frage des Schadenersatzes und Verdienstentgang. Der Bub war zum Zeitpunkt des Unfalls in der Sonderschule. Die Versicherung hat so argumentiert: Wer in die Sonderschule geht, bekommt keinen Job, und wer keinen Job hat, wird auch nichts verdienen. Wer nichts verdient, dem muss man auch keinen Verdienstentgang zahlen. Das habe ich total ungerecht gefunden und mich auch wahnsinnig darüber geärgert. Nicht nur ich.

STANDARD: Wie ging der Fall weiter?

Resetarits: Nach langem Hin und Her hat der Bub dann eine schöne Summe bekommen, die Wünsche des Anwalts wurden erfüllt. Er hat auch einen Job bekommen. Dort ist er noch immer. Der Arbeitgeber ist zufrieden mit ihm und er mit seinem Job.

STANDARD: Eine Herausforderung für das Format ist, juristische Sachverhalte so zu beschreiben, dass normale TV-Zuschauer sie verstehen.

Resetarits: Wir geben uns viel Mühe, sitzen lange und überlegen, wie wir sieben Prozesse, die in einer Causa stattgefunden haben, in einer kurzen Passage so darstellen können, dass man sich auskennt und wir nicht geklagt werden können. Dass uns nicht jemand vorwirft, manipulativ berichtet zu haben, weil wir bewusst etwas weggelassen hätten, was wichtig gewesen wäre. Wir müssen aber etwas weglassen, können nicht tausende Seiten der Akten unterbringen. Das ist immer ein stundenlanges Hin-und-her-Getue, bis wir die richtigen Formulierungen haben. Eine wilde Bastelei sozusagen.

STANDARD: Genug Streitfälle wird es wohl weiterhin geben, die Quote stimmt auch. Bleibt "Schauplatz Gericht" weiterhin so, wie es ist, wird sich etwas ändern?

Resetarits: Manchmal überlegen wir, ob wir etwas verändern sollen, vom Schnitt her schneller oder dynamischer oder so in diese Richtung. Das sind dann oft lange Diskussionen, die meist damit enden: Lassen wir es mal, wie es ist. Never change a winning team. Konkrete Pläne gibt es derzeit nicht.

STANDARD: Am Donnerstag wird die Jubiläumsfolge mit Rückblicken ausgestrahlt. Welche Fälle kommen vor?

Resetarits: Jeder von uns in der Redaktion hat eine Geschichte hergenommen, die ihn am meisten beschäftigt hat. In einem Fall geht es um eine Erbschaft und ein zerstrittenes Geschwisterpaar, die sich so ziemlich alles antun, was man sich nur antun kann. Ein anderer Fall handelt von einem Mann, der behauptet hat, man habe ihm Hakenkreuze in die Haut geritzt. Am Anfang hat man ihm geglaubt, sein Nachbar war sogar kurz in U-Haft. Im Endeffekt hat sich herausgestellt, dass er sich das selbst zugefügt hat.

Ich habe die Nicaragua-Geschichte ausgesucht. Eine Frau erzählte uns über die Entführung ihres Mannes nach Nicaragua, er werde dort in einer Villa im Dschungel von Verbrechern gefangen gehalten. Eine skurrile Geschichte, die gestimmt hat. (Astrid Ebenführer, 5.10.2017)