"Ich wusste ganz genau, wie die Welt funktioniert – und was man verändern sollte." Valerie Pachner fährt sich durchs Haar und lacht laut auf. Tief und kehlig klingt ihre Stimme, aber auch ganz weich. "Heute bin ich mir bei vielen Dingen nicht mehr so sicher."

Foto: Irina Gavrich

Gerade einmal 30 Jahre alt ist die Schauspielerin, doch wenn sie über ihre Jugend erzählt, dann klingt das wie aus einem anderen Leben: die Dreadlocks; die Fahrten zu den Donnerstagsdemos; die Diskussionen in der WG-Küche. "Ich gehörte nicht zur harten Antifa-Abteilung, aber die Welt sah ich in erster Linie durch eine politische Brille." Also schulterte sie nach der Kindheit und Jugend im oberösterreichischen Bad Schallerbach ihren Rucksack und ging nach Honduras. Sie arbeitete dort als Lehrerin und Übersetzerin, als Physiotherapeutin und Krankenschwester. "Irgendwann habe ich den einzigen Schauspieler, den es wahrscheinlich in Honduras gibt, kennengelernt und zusammen mit ihm und Straßenkindern Theater gemacht. Ich habe gemerkt, dass mich das von allen Dingen, die ich gemacht habe, am meisten interessiert."

In eine andere Rolle schlüpfen, mit dem eigenen Körper und der eigenen Stimme neue Welten erschaffen. Oder wie es Valerie Pachner ausdrückt: "Sich selbst erweitern." Die Schauspielerin sitzt an einem brütend heißen Augusttag in einem Wiener Café, das schwarze Sommerkleid aufgeknöpft, an ihren Füßen schwere Plateauschuhe.

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Es sind nach Wochen intensiver Arbeit ihre ersten freien Stunden. In zwei Tagen wird sie nach Thailand fliegen und fünfeinhalb Wochen lang das Land erkunden – allein, nur mit einem Band Seneca im Gepäck. "Das brauche ich jetzt. Ich habe das Gefühl, ich arbeite seit vier Jahren durch." So lange dauerte das Engagement am Münchner Residenztheater, in das Pachner nach ihrem Abschluss am Max-Reinhardt-Seminar nahtlos gewechselt war. Unterm Jahr spielte sie die Irina in den "Drei Schwestern" oder die Elisabeth in "Glaube Liebe Hoffnung", im Sommer stand sie dann vor der Kamera – vor zwei Jahren als Wally Neuzil in dem Schiele-Biopic "Tod und Mädchen", im vergangenen Jahr als Fanni Jägerstätter in "Radegund", Regie: Hollywood-Legende Terrence Malick. Der Cast: alles, was im deutschen Film Rang und Namen hat.

Foto: Irina Gavrich

Premiere in Cannes?

Ins Kino wird es der Film erst im kommenden Jahr schaffen (wahrscheinlich wird er in Cannes vorgestellt), doch schon jetzt munkelt man in der Branche, dass er Pachner auch international ein Gesicht geben könnte. Nach ihrer Rückkehr aus Thailand wird die Schauspielerin nach Los Angeles fliegen und dort gemeinsam mit einem Agenten durch Castingbüros tingeln, bevor sie als Hauptdarstellerin im neuen Film von Marie Kreutzer vor der Kamera stehen wird.

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Das Theater lässt sie (bis auf Gastrollen) dagegen erst einmal sein. "Ein festes Engagement war mit den vielen Dreharbeiten nicht mehr vereinbar", sagt sie. In nächster Zukunft wird sich Pachner dem Film widmen – und dabei genau hinschauen, welche Rollen sie annehmen wird.

"Heute tu ich mir schwerer, mich als politischen Menschen zu bezeichnen. Aber bei der Auswahl der Stoffe achte ich darauf, dass sie eine gewisse Relevanz haben." Im Theater ist das natürlich wesentlich einfacher als im Film. Hier spielt die gesellschaftliche Dimension eines Stückes eine große Rolle, viele Schauspieler begreifen ihre Arbeit durchaus auch als eine politische Sache. Vier Jahre lang war Pachner Teil des Ensembles des Münchner Residenztheaters unter Intendant Martin Kusej, der im Herbst 2019 die Wiener Burg übernehmen wird. "Als ich bei Martin vorgesprochen habe, suchte er nur einen Gast. Am nächsten Tag hat er mir eine Festanstellung angeboten."

Pachner versteht es, einen sofort in ihren Bann zu ziehen: die roten Haare zu den blauen Augen, die Verletzlichkeit, die sich hinter einer großen Stärke offenbart. Im Theater taucht sie ohne Sicherheitsnetz in ihre Rollen ein, der zarte Körper bebt und bäumt sich auf – mit den Kräften hauszuhalten ist ihre Sache nicht. "Ich bin nach fast jeder Rolle, die ich spiele, komplett fertig", sagt sie. Ein klares Rollenmuster wie viele andere Schauspieler hat Pachner im Theater nicht, im Film wird sie dagegen vorzugsweise in historischen Rollen besetzt. "Das hat wohl etwas mit meinem Gesicht zu tun."

Foto: Irina Gavrich

Am Gesicht festsaugen

Sekundenlang saugt sich die Kamera in Dieter Berners Schiele-Verfilmung an ihrem Gesicht fest, fast scheint es, als ob jede einzelne Sommersprosse einzeln gewürdigt würde. Schieles Muse und Liebhaberin Wally Neuzil ist in der Verkörperung durch Pachner ein herrlich unbekümmertes Geschöpf, das auf gesellschaftliche Konventionen pfeift. Als ihr der erotomane Maler erklärt, wegen der Kunst auf die Liebe zu verzichten, braucht Pachner nur einen Bruchteil einer Sekunde, um zu erstarren.

Foto: Irina Gavrich

Es sind Szenen wie diese, die ihr im vergangenen Jahr beim Österreichischen Filmpreis den Titel "Schauspielerin des Jahres" eingebracht haben. "Und ich dachte lange Zeit, dass der Film nichts für mich sei", amüsiert sie sich: Zu speziell, zu wenig glatt habe sie sich selbst eingeschätzt, nicht kompatibel mit herkömmlichen Rollenvorstellungen. "Der Film ist mir passiert." Dasselbe lässt sich auch vom Theater sagen.

Trotz der Schauspielerfahrungen in Honduras schrieb sich Pachner nach ihrer Rückkehr erst einmal in die Studienfächer Internationale Entwicklung und Germanistik in Wien ein. "Ich habe immer schon viel gelesen. Und Internationale Entwicklung hatte den Anspruch, den kritischen Blick zu schulen. Die Schauspielerei wäre mir nicht politisch genug gewesen." Losgelassen hat sie das Spiel mit anderen Rollen aber nicht. Die Aufnahmeprüfung am Max-Reinhardt-Seminar probierte sie, "damit ich es später nicht bereue" – und wurde prompt genommen. "Das hat mein Leben ganz schön durcheinandergebracht. Doch wenn ich mich auf etwas einlasse, dann mache ich es ganz oder gar nicht."

Diese Fähigkeit, sich mit Haut und Haaren in eine Rolle zu stürzen, hat ihr auch die bisher wichtigste Rolle in ihrer noch jungen Karriere eingebracht. Neben August Diehl, der den oberösterreichischen Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter verkörpert, der 1943 hingerichtet wird, spielt sie in "Radegund" dessen Frau Franziska, eine zutiefst religiöse Bäuerin und Mutter. Gedreht wurde vergangenen Sommer in Südtirol, über das Filmprojekt erzählen darf sie aus vertraglichen Gründen aber noch nichts. Nur so viel: "Nach dem ersten Drehtag mit Terrence Malick hatte ich das Gefühl, ich könnte das Drehbuch wegschmeißen. Es ging darum, im Moment zu sein, sich ganz dem Spiel hinzugeben."

Für jemanden wie Valerie Pachner schon einmal keine schlechte Voraussetzung, ganz in einer Rolle aufzugehen. Und ein durch und durch politischer Stoff ist es auch. Da kann gar nicht mehr so viel schiefgehen. (Stephan Hilpold, RONDO Exklusiv, 7.10.2017)

Fransenkleid Michael Kors Collection.
Foto: Irina Gavrich
Hemd-Lätzchen Emporio Armani, Kleid Saint Laurent Paris.
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Volantbluse von Hausach, Hose Balenciaga, Schuhe Sportmax und Collier Cartier.
Foto: Irina Gavrich
Blazer, Gilet und Hose von Hermès, Schue Balenciaga, Ring Rosenzweig Jewelry.
Foto: Irina Gavrich
Valerie Pachner, fotografiert von Irina Gavrich, Hemdlätzchen von Emporio Armani, Kleid und Schuhe Saint Laurent Paris, Strumpfhose Calzedonia, Armband Cartier.
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