Margit Müller hat sich in der arabischen Welt einen Namen als Falkendoktor gemacht.

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Ein gefiederter Patient bei der Behandlung.

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Das Falkenhospital von Abu Dhabi ist ...

Foto: wikicommons/Abu Dhabi Falcon Hospital/Kishore Kumar

... auch eine Touristenattraktion geworden.

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Mit geübtem Griff stülpt Margit Müller dem Falken die Maske über den Kopf, um das Narkosegas zuzuführen. Das Flügelschlagen endet abrupt. Nach zwei, drei Zuckungen liegt der edle Vogel entspannt auf dem OP-Tisch. "Die Falkner nennen mich Doctora", sagt die 49-jährige Veterinärin mit den Wuschellocken, "und sie vertrauen mir." Selbstbewusstsein klingt aus der Stimme der Chefärztin, aber: "Das war nicht immer so."

Seit 2001 leitet Müller das "Abu Dhabi Falcon Hospital". Anfangs habe sie mit vielen Vorurteilen einer männerdominierten Belegschaft zu kämpfen gehabt. Illoyale Angestellte hatten die Klinik heruntergewirtschaftet, die Organisation war schlampig, es mangelte an Hygiene, erinnert sich die Tierärztin aus Deutschland. Damit sollte Schluss sein. Müller wurde überraschend zur Managerin und Chefärztin berufen.

Fußmassage für die Krallen

Eine Deutsche in einem arabischen Land als Nachfolgerin eines Mannes, noch dazu eines Einheimischen? Das war damals eine absolute Ausnahme. Frauen hätten in der Falkenklinik höchstens eine Anstellung als Sekretärin oder Laborantin gefunden, sagt Müller. "Die Falkner waren nicht gewöhnt, dass eine Frau Tierärztin ist, und die Mitarbeiter waren nicht gewöhnt, dass eine Frau hier das Sagen hat. Aber mir war klar: Ich schaffe das trotzdem!" Dabei funkeln ihre Augen hinter der rahmenlosen Brille. "Inzwischen ist das so, dass viele Emiratis ihre Falken von keinem anderen mehr behandeln lassen als von mir. Und wenn ich einmal in einem Meeting bin, dann warten sie auf mich."

Im Behandlungssaal hat der Patient Probleme mit den Krallen. Die sind eindeutig zu lang, diagnostiziert Müller im Kittel und mit Mundschutz. "Übermäßig lange Krallen können zu Fehlstellungen der Füße führen und die wiederum zu Schmerzen." Müller greift zum Operationsbesteck, das alles andere als Hightech ist: ein Teppichmesser und eine Schleifmaschine aus dem Baumarkt. Danach gibt es eine kleine Fußmassage mit Creme, um die Blutzirkulation anzuregen. Dann wird der Schnabel noch mit einem Nagelknipser in Form gebracht.

Falkenklinik als Touristenattraktion

Mit Selbstvertrauen und Ausdauer hat sich die Falkenexpertin über die Grenzen der Emirate hinaus einen Namen gemacht. Heute ist die Schwäbin aus Bayern eine Institution in Abu Dhabi. "Pro Jahr behandeln wir im Falkenhospital über 11.000 Falken", über 75.000 waren es seit der Eröffnung. Mittlerweile können auch Touristen die Klinik besuchen, sie gehört heute zu den wichtigsten Attraktionen in Abu Dhabi.

Nach dem Studium in den 1990er Jahren schrieb die Veterinärin ihre Promotion in München über Fußerkrankungen bei Falken. Für den praktischen Teil ihrer Doktorarbeit ging sie nach Dubai. Dort stieß ihr Werk auf große Beachtung. Schließlich kam das Angebot, die Falkenklinik zu übernehmen. "Im Augenblick beschäftigen wir 107 Mitarbeiter aus 16 Ländern", sagt Müller, ein bunter Nationalitätenmix wie überall in Abu Dhabi.

Würden- und Kittelträgerin

In ihrem Büro tauscht Müller den blauen Kittel gegen einen weißen. Überall hängen Bilder, die sie mit Würdenträgern Abu Dhabis zeigen. Eines fällt sofort ins Auge: Müller bekommt eine Auszeichnung von Scheich Mohammed bin Zayed Al Nahyan überreicht, einem begeisterten Falkner und Bruder des Emirs von Abu Dhabi. Tradition und Moderne lägen in dem Emirat dicht beieinander, sagt Müller: eines der größten Sonnenkraftwerke der Welt, ein Ableger des Louvre und gleichzeitig eine patriarchalische konstitutionelle Monarchie ohne Gewerkschaften, ohne Opposition und ohne Regierungsparteien – eines der reichsten Länder der Welt.

Die Masse der ausländischen Arbeitskräfte kommt aus Indien, Bangladesch, Nepal und Pakistan, lebt bescheiden und verdient zwischen 300 und 600 Euro. Ist das nicht ein Missverhältnis, zumal eine Falkenbehandlung so viel kosten kann wie ein Monatslohn eines Fremdarbeiters? "Interessante Frage", entgegnet Müller, "die Leute, die bei uns putzen, verdienen etwa 200 Euro. In ihren Heimatländern leben die meisten von weniger als zwei bis fünf Dollar pro Monat. Sogar der kleinste Angestellte bei uns besitzt bei sich Zuhause ein großes Haus, unterhält eine Familie von mindestens 20 Familienangehörigen. In ihren Ländern sind diese Leute reich."

Die Weibchen sind größer

Müller antwortet so prompt und energisch, als habe sie auf solche Fragen nur gewartet. Ihre Botschaft lautet: Falken sind in der arabischen Gesellschaft keine Haustiere sondern Familienangehörige, die liebevoll gehegt und gepflegt werden. "Sie leben in der Familie, viele schlafen im Schlafzimmer ihrer Besitzer", sagt Müller.

Falkner finden sich bis heute in allen Schichten, in den Herrscherfamilien wie bei einfachen Beduinen – unabhängig von der wirtschaftlichen Situation. Aber noch immer ist die Falknerei fest in Männerhand: "Früher dachten die Beduinen, der große Falke muss das männliche Tier sein und haben ihm männliche Namen gegeben", erzählt Müller. Erst durch die moderne Medizin kam heraus, dass die großen Tiere Weibchen sind: "Wir haben bis heute Beduinen, die das einfach nicht glauben wollen."

Die Chefärztin geht an der Rezeption vorbei. Dort tippeln die Patienten stoisch auf einer Holzstange hin und her, über ihren scharfen Augen tragen sie Lederhauben. Sie können weder den glänzenden Marmorfußboden noch die goldfarben bezogenen Sessel noch die gerahmten Bilder der männlichen Herrscher Abu Dhabis sehen, die mit strengem Blick allgegenwärtig in jedem öffentlichen Raum thronen. Die Besitzer der Raubvögel blicken kummervoll auf ihre kranken Lieblinge und warten – auf Margit Müller. (Michael Marek, 8.10.2017)