Documenta-14-Chef Adam Szymczyk war am Dienstag Gast in Wien.

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Wien – Die Documenta 14 ist nicht die erste, die nicht ausgeglichen bilanziert. Zwar kann man die Etats aus den Anfängen der weltweit größten Kunstausstellung nicht mit heutigen vergleichen, aber bereits 1964, bei der Documenta III, machte das Defizit ganze 41 Prozent des Haushalts aus. Bestätigt sich tatsächlich das kolportierte Loch von 5,4 Millionen Euro, dann hätte man das Budget von 29,6 Millionen um etwa 18 Prozent überzogen. Um solche – auch auf Besucherzahlen übertragbare – Zahlenspiele sollte es aber nicht gehen, als DER STANDARD den künstlerischen Leiter der Documenta, Adam Szymczyk, am Rande eines Podiumsgesprächs zum Thema "Von Athen gelernt" (ohne Fragezeichen!) im Wiener Depot zu einem exklusiven Gespräch traf.

STANDARD: Vielen erschienen Sie beim Podium gesprächiger und lebendiger als sonst. Ist nun die Zeit gekommen, doch mehr zu erklären, mehr zu vermitteln?

Szymczyk: In manchen Medien wurde ich als jemand beschrieben, der nicht gesprächig ist, oder als "Sphinx" (im SZ-Magazin, Anm.) bezeichnet. Ich verstehe das nicht. Ich versuche immer zu kommunizieren und habe viele öffentliche Gespräche geführt. In den letzten Monaten hatten wir uns allerdings auf die Ausstellung zu konzentrieren. Aber es gab eine Menge öffentliche Dialoge auf der Documenta selbst, etwa im Parlament der Körper. Nun, im Hinblick auf die finale Phase, die die Diskussion zu den Finanzen einschließt, denke ich nicht, dass es meine Rolle ist, akkurat über finanzielle Details Auskunft zu geben. Ich kann nur einen weiten Blick auf das Verhältnis von Ökonomie, Kunst und Politik geben: Es ist ein Moment, der auf gewisse Weise diese Abhängigkeiten von künstlerischer Produktion, politischen Entscheidungen und Ökonomie zwischen Deutschland und Griechenland entblößt.

STANDARD: Sie sagten auch, das Finanzdebakel führe dazu, dass endlich über das Verhältnis von Documenta und Politik und ihre Autonomie diskutiert werde. Stört es sie also nicht, dass nun fast ausschließlich über das erwirtschaftete Defizit gesprochen wird?

Szymczyk: Nein, nicht ausschließlich. Es gibt im kommenden Semester an der Angewandten ein Seminar über die Documenta …

STANDARD: Na ja, das ist jetzt nicht so öffentlich wie der Diskurs in den Medien …

Szymczyk: Ja, aber das ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Manche Medien haben vielleicht vermieden, die Ausstellung zu diskutieren, indem sie ausschließlich auf die ökonomischen Probleme ganz am Ende fokussieren. Aber ich denke, die Zukunft wird es weisen.

STANDARD: Sie halten es also für ein Ausweichmanöver, um nicht über andere Inhalte zu sprechen?

Szymczyk: Ja, es ist einfacher, ein paar Zahlen fallen zu lassen.

STANDARD: Defizite sind ja nicht neu. Wieso diese enorme Aufregung? Wegen schlechter Kritiken?

Szymczyk: Nein. Vielleicht wegen der Geschichte zwischen Deutschland und Griechenland, Süden und Norden. Das ist irgendwie modellhaft. Grundsätzlich wurden ein paar prospektive, errechnete Zahlen, die noch nicht Fakten sind, als solche angeführt, dann plötzlich liest man auch, alles sei passiert, weil die Dinge in Griechenland aus dem Ruder liefen. Irgendwie wird die Verantwortlichkeit sachte in Richtung Athen geschoben, weil es dieses "Andere" ist, der Ort, von dem wir nicht genau wissen, was dort vorgeht, wo es Korruption, Bestechung und Koffer voller Geld gibt. Es ist wie ein Gangsterfilm, wie ein Drehbuch, die volle Wiederholung eines Stereotyps – ja von Massen von Stereotypen, die dazu benutzt werden sollten, das Problem zu erklären. Aber das tun sie nicht. Nun ist ein guter Augenblick für einen Realitätscheck. Von Anfang an ist der stereotype Blick auf ein Kräftegleichgewicht und darauf, wer in der Position ist, Lektionen zu erteilen, und wer, Lektionen zu erhalten, für die Documenta 14 völlig inakzeptabel gewesen. In diesem Fall sind die Griechen nicht schuld. Vielleicht zum ersten Mal – das freut mich.

STANDARD: "Zum ersten Mal" – was soll das heißen?

Szymczyk: Weil sie in den Medien und dem Mainstream-Diskurs konservativer Politik fast immer als korrupt, reformunfähig, verantwortungslos und faul dargestellt werden, und daher einfach selber schuld sind … Vielleicht ist die jetzige Berichterstattung ein bisschen besser als früher, aber seit die Syriza-Partei die Wahlen gewonnen hat, sprach man immer von der "linkspopulistischen Regierung". Diese Parole hat sich ein bisschen geändert.

STANDARD: "I am wondering what went wrong", sagten Sie im Depot. Ist Ihr Konzept also doch nicht aufgegangen?

Szymczyk: Wenn Ihnen so viele sagen, dass die Documenta 14 bedeutungslos und langweilig und dergleichen mehr ist, aber gleichzeitig trotzdem viele Besucher kommen, um sich die Ausstellung anzuschauen, ist es unmöglich, das alleinig mit dem generellen besucheranziehenden Phänomen der Documenta zu erklären. Es war schließlich die Documenta 14 selbst, die die Besucher anzog. Besucher könnten von anderen gehört haben, dass die Ausstellung langweilig ist und es sich nicht lohnt hinzufahren, aber sie kamen dennoch. Wir hatten viele enthusiastische, direkte Rückmeldungen sowie gute und profunde, aber auch schlechte und abwertende Kritiken. Ich denke, diese Vielfalt an Meinungen ist normal und produktiv.

Standard: Gibt es Dinge, die sie mit heutigem Wissen anders machen würden?

Szymczyk: Immer. Aber ich arbeite nie mit "Was wäre wenn"-Szenarien. Dafür habe ich keine Zeit.

STANDARD: Ich zitiere Sie weiter: "Eine große schwarze Null ist ein trauriges Bild" ...

Szymczyk: Das ist auch ein trauriges Bild. Ich sage deswegen aber nicht, dass die Zahlen im roten Bereich sein müssen! Die Zahlen müssen schon stimmen, das ist mir klar. Aber wenn sie nicht stimmen, ist das nicht nur als ein Desaster zu verstehen. Es ist auch eine Gelegenheit, um darüber nachzudenken, wie die Documenta organisiert ist und ob ein Budget, das auf dem jetzigen basiert, dem Kurator der nächsten Ausgabe genug Kapazitäten gibt. Viele im Umfeld der Documenta sind der Meinung, dass die Organisation geändert werden sollte. Wenn diese Modifizierungen allerdings weniger Autonomie bedeuten, wäre das nicht gut; nötig wäre es, dass die bestehende Autonomie der Ausstellung intakt bleibt und eine angemessene organisatorische Formel dieser Autonomie dient.

Standard: Glauben Sie, dass das gelingen kann?

Szymczyk: Ja, ich denke, es ist der einzige Weg. Die Documenta ist ein bisschen zu kostbar für Deutschland – und mit Sicherheit auch global –, um nur noch als eines von vielen Events mit begrenzter Autonomie betrachtet zu werden.

Standard: Heißt das auch, dass sich die Höhe des Etats am Konzept orientieren sollte?

Szymczyk: Nein. Ich sage nur, dass die Höhe des Etats eine politische Entscheidung ist, hinter der die Politiker auch in schwierigen Momenten stehen sollten. Das sind politische Entscheidungen, auf die ich keinen Einfluss habe. Wenn man jedoch die Documenta mit anderen Kulturunternehmen vergleicht, die regelmäßig mit riesigen Summen finanziert werden, aber nicht eine solch erstaunliche Mobilisierung von Besuchern, Kritik et cetera produzieren, denke ich, verdient die Documenta besondere Aufmerksamkeit.

Standard: Wie sollte man den Erfolg einer Großausstellung messen?

Szymczyk: Über die Komplexität der Debatte, die sie auslöst, und über den Status der Kultur in gesellschaftlichem Kontext heute. Sie kann auch gemessen werden unter dem Aspekt politischer Kriterien. Es ist nicht so, dass die Ausstellung ein dokumentarischer Bericht über das ist, was in der Politik passiert, aber Kunst sollte auf eine Art Auswege zeigen. Niemand kennt einen Weg aus der Zwickmühle, in der wir nun sind, aber einige vorläufige Antworten können sich auch in den Ausstellungen und der Arbeit von Künstlern finden. Ich glaube, das ist alles andere als langweilig.

Standard: Es war zuletzt auch von der Befürchtung zu lesen, aufgrund der aktuellen Krise würde sich kein Kurator finden, der eine künftige Documenta gestalten will.

Szymczyk: Ich denke, wenn sich die Aggression in der Debatte zu finanziellen Problemen abmildert und wenn die Bedingungen für die Geschäftsführung und die internationale Findungskommission, an der nächsten Documenta zu arbeiten, gegeben sind, wird es bestimmt zu einer guten Auswahl möglicher Kandidaten für diese sehr anspruchsvolle und einzigartige Position kommen. (Anne Katrin Feßler, 5.10.2017)