Die meisten Digital Natives seien "großartige User, aber was hinter den Technologien steckt, wissen viele nicht", sagt Arbeitssoziologin Annika Schönauer.

Foto: Anna-Lena König

STANDARD: Studien darüber, wie viele Jobs in Zukunft durch Algorithmen, Maschinen oder Roboter ausgeführt werden, sorgen bei vielen Menschen für Zukunftssorgen. Mittlerweile mit dem Zusatz: Es wird auch neue Jobs geben, Arbeit wird nicht verschwinden, sondern sich nur verändern. Klingt manchmal nach einer Notlüge ...

Schönauer: Es ist tatsächlich so, dass den Menschen oft gesagt wird, sie müssen sich ja nur genügend weiterbilden, dann kann nichts passieren. Es wird aber die Ängste der Menschen nur verstärken, wenn man gar keine Gegenmodelle anbieten kann bei diesen Prognosen zur Automatisierung. Natürlich geht sich das Versprechen aber nicht aus. Es wird eine Verschiebung von Arbeit geben, weil es kann nicht für jeden Job, der wegfällt, ein Ersatz gefunden werden. Ob es überhaupt sinnvoll ist, alle Berufe, die technologisch ersetzt werden können, auch tatsächlich zu ersetzen, ist natürlich die wichtige Frage, die dahintersteht.

STANDARD: Sie meinen, dass nicht alle technologischen Fortschritte per se auch gut sind für die Arbeitswelt?

Schönauer: Ein Kollege hat unlängst einen schönen Satz gesagt: Nur weil es das selbstfahrende Auto gibt, heißt das nicht, dass alle Busfahrer ersetzt werden müssen. Der ganze Diskurs ist aktuell sehr technologiegetrieben, aber ich finde, dass man das kritisch hinterfragen muss. Natürlich sollte darüber nachgedacht werden, ob alles, was technisch möglich ist, auch umgesetzt werden muss, soll oder kann. Technologien sind immer auch sozial eingebettet. Wir müssen uns fragen, ob wir alles rationalisieren wollen – oder aber Arbeit, Produkte und Dienstleistungen verbessern wollen. Statt also Technologie vor dem Hintergrund zu diskutieren, dass sie Menschen ersetzt, könnte darüber nachgedacht werden, wo solche Innovationen schlechte Arbeitsbedingungen verbessern und Arbeit gesünder und nachhaltiger machen könnten.

STANDARD: Die Debatte läuft momentan allerdings in eine ganz andere Richtung.

Schönauer: Ja, und es ist auch verständlich, dass die Leute Angst haben. Arbeitslosigkeit in Kombination mit den prophezeiten Jobverlusten durch Robotereinsatz wirken als eine Bedrohung. Das hier aber Entscheidungsprozesse dahinterstehen, die in einer Gesellschaft ja gebraucht werden, wird oft ausgeblendet. Die Technologie scheint hingegen wie ein Selbstläufer: Sie kommt, und so wird es sein. Aber dass da die Politik auch mitsteuern kann oder sollte, wird auch von den Politikerinnen und Politikern selbst zu wenig wahrgenommen.

STANDARD: Statt auf die Politik zu warten: Was kann jeder Einzelne gegen diese Selbstläufer-Entwicklung unternehmen? Reicht da bereits das Bewusstsein dafür aus?

Schönauer: Das kritische Hinterfragen von Technologien sollte bei allen Beschäftigten ankommen. Auf betrieblicher Ebene gibt es natürlich enormen Druck in puncto Internationalisierung oder Konkurrenz. Viele Managerinnen und Manager sagen, sie müssen da einfach mit. Aber in den seltensten Fällen werden solche Entscheidungen bis zum Schluss durchgerechnet. Vor allem in kleinen Unternehmen verläuft das alles wesentlich langsamer. Auch weil technologische Neuerungen mit großen Investitionen verbunden sind.

STANDARD: Und wenn doch in sie investiert wird, dann müssen Mitarbeiter umgeschult werden. Wir sind wieder beim Punkt Weiterbildung als Schutz.

Schönauer: Betriebliche Weiterbildung ist sehr wichtig, kann aber nicht die alleinige Lösung sein. Ich sehe diese Individualisierung kritisch – es muss größer gedacht werden.

STANDARD: Welche Lösungen wären da nachhaltiger?

Schönauer: Ganz klar: Arbeitszeitverkürzung. So wird sichergestellt, dass möglichst viele Menschen Arbeit haben – obwohl in geringerem Umfang. Und da ist die öffentliche Hand gefordert – nicht nur die Unternehmen.

STANDARD: Politisch sind wir momentan allerdings weit davon entfernt – auch im internationalen Vergleich zeigt der Trend in eine andere Richtung, wenn man beispielsweise an die Arbeitsmarktreform in Frankreich denkt.

Schönauer: Das ist richtig, aber langfristig gesehen führt an einer Umverteilung von Arbeit kein Weg vorbei. Die Paralleldiskussion dazu ist das Grundeinkommen. Das sehe ich persönlich etwas kritischer. Arbeit ist viel mehr als ein Mittel, um sich Unterhalt und Leben zu finanzieren. Mit dem Grundeinkommen besteht weiterhin die Gefahr, dass Menschen sozial ins Abseits geraten.

STANDARD: Brechen wir das auf die Beschäftigten herunter. Nicht jeder oder jede kann vom digitalen Wandel profitieren, einige werden auf der Strecke bleiben. Das wird eigentlich nur selten klar ausgesprochen.

Schönauer: Weil oft ignoriert wird, dass die Digitalisierung eine Polarisierung ist. Auf der einen Seite entstehen ganz viele standardisierte Jobs für Geringstqualifizierte – schlecht bezahlt und in prekären Verhältnissen. Auf der anderen Seite natürlich die Jobs für besser qualifizierte Menschen, wo es dann um die Frage geht, ob die Beschäftigten mit der erhöhten Geschwindigkeit in der Arbeitswelt mithalten können. Das Problem ist: Viele mit mittleren Qualifikationen, etwa in der Verwaltung Tätige, sind mit Jobverlust oder Prekarisierung konfrontiert.

STANDARD: Werden sich die Auswirkungen bei Männern und Frauen grundlegend unterscheiden?

Schönauer: Ich halte das für eine zentrale Frage und glaube, dass da viele sehr alte Fragestellungen wieder auftauchen werden. Wer arbeitet wie viel? Wie sieht es mit der Vereinbarkeit aus? Hier würden die neuen Technologien, denke ich, durchaus Chancen bieten, die Rollenverteilung neu zu diskutieren und Dinge anders zu verteilen. Wenn es nämlich darum geht, dass Arbeit weniger wird, dann kann man hier über eine Neuverteilung der Arbeit zwischen Männern und Frauen diskutieren.

STANDARD: Andererseits erwarten manche Wissenschafter auch, dass es vor allem für Frauen zu Verschlechterungen kommen wird, weil sie häufig in Jobs sind, die stärker von Automatisierung betroffen sind.

Schönauer: Ich denke, da kommt es sehr stark auf die Branche an. Natürlich: Im Handel sind Frauen zum Beispiel stärker von Jobverlusten bedroht. Andererseits gibt es wahrscheinlich auch klassische Frauenbranchen, die wachsen werden: Bildung und Pflege – da gibt es unabhängig von der Digitalisierung steigenden Bedarf. Wenn wir von der Zukunft der Arbeit sprechen, dreht sich nicht alles um Digitalisierung. Entwicklungen wie eine alternde Bevölkerung oder die gestiegene Bedeutung von kontinuierlicher Weiterbildung sind maßgeblich.

STANDARD: Was ist mit denjenigen, die erst in den Arbeitsmarkt eintreten? Welche Qualifikationen sind wichtig?

Schönauer: Sprache ist zum Beispiel ein großes Thema. Hier wissen wir, dass wir einen enorm hohen Anteil an zwei- und dreisprachigen Schülerinnen und Schülern in Österreich haben. Für internationale Unternehmen ein enormes Potenzial – gleichzeitig haben diese Kinder in unserem Schulsystem oft Schwierigkeiten. Aber das Schulsystem reagiert allgemein eher zeitverzögert auf große Herausforderungen.

STANDARD: Viele Unternehmen freuen sich allerdings darüber, dass Berufseinsteiger von heute Digital Natives sind ...

Schönauer: Die meisten von ihnen sind großartige User, aber was hinter den Technologien steckt, wissen viele nicht. Das können sie teilweise auch gar nicht – zumindest nicht aus dem Schulunterricht, denn dort gab es für diese Dinge jahrelang keinen Platz. Dabei sollten die jungen Menschen früh lernen, dass man Technologien zwar in gewissem Maße, aber nicht voll ausgeliefert ist und sie außerdem auch mitgestalten kann. Andererseits ist es aber auch nicht so, dass die älteren Beschäftigten, seit sie begonnen haben zu arbeiten, nichts mehr dazugelernt hätten, das gehört ja überall dazu.

STANDARD: Unter Druck kommen die älteren Arbeitnehmer natürlich dennoch.

Schönauer: Ja, aber das hat für mich nicht unmittelbar mit Digitalisierung und Qualifikationen zu tun. Das sind weiterhin die alten Probleme und weniger der technologische Wandel. (Lara Hagen, 3.11.2017)