Die Digitalisierung ist wie eine riesige Wolke am Himmel. Gut sichtbar hängt sie dort oben und beeinflusst das Wetter, unser Leben. Aber sie ist eben doch ziemlich weit weg und wenig greifbar. In der Arbeitswelt ist laut zahlreichen Studien sowohl Aufsichtsräten und Topmanagern als auch einfachen Mitarbeitern klar, dass die Wolke da oben für einen Wetterumschwung sorgen wird. Aus den Untersuchungen geht aber auch hervor, dass sich in Österreich nur wenige dafür vorbereiten.

Wenn es nach den österreichischen Führungskräften geht, ist die Lage aber gar nicht so schlimm: Vier von fünf von ihnen fühlen sich gut oder sehr gut auf die digitale Transformation vorbereitet, erhob man beispielsweise am bfi Wien. Allerdings: Manche Teilergebnisse dieser Studie sprechen eine andere Sprache. In der ersten Führungsebene sieht sich beispielsweise knapp ein Fünftel weniger gut auf eine digitale Zukunft vorbereitet. 38 Prozent sehen auch die Mitarbeiter auf keinem guten Weg.

Seit 1995 erhebt die Statistik Austria jedes Jahr den Indikator "Lebenslanges Lernen": wie viele Personen ab 15 Jahren an einem privaten oder beruflichen Kurs teilnehmen. Im ersten Jahr waren das 7,7 Prozent der Gesamtbevölkerung, 2016 schon 14,9 Prozent.
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In anderen Studien wird Diskrepanz sichtbar: 98 Prozent der von Board Search befragten Führungskräfte halten digitale Kompetenz für unerlässlich für den Unternehmenserfolg, allerdings würde ein Viertel von ihnen Österreichs Betrieben im Fach "Digitale Kompetenz" gerade einmal 30 bis 39 von 100 möglichen Punkten geben. Dass Österreich in puncto Digitalisierung international hinterherhinkt, gab unlängst auch die OECD in einer ausführlichen Analyse zu Protokoll.

In der Wolken-Analogie hilft dickere oder dünnere Kleidung, ein Regenschirm oder eine Sonnenbrille – je nachdem, wie sich das Wetter dreht. Ganz so klar sind die Instrumente, Skills und Einstellungen, die man braucht, um in einer digitalisierten Welt nicht von einem Algorithmus ersetzt zu werden, nur selten benannt. Es bleibt vielfach bei der vagen Forderung nach "Digital Skills" – und zwar vom Hilfsarbeiter bis zur Anwältin, denn die Ansprüche an Mitarbeiter werden unabhängig von Branche und Position steigen, die Arbeit wird außerdem intensiviert.

Wie Bildungsinstitutionen reagieren

Das merken viele schon heute: 60 Prozent jener, die häufig mit digitalen Mitteln arbeiten, gaben in einer Befragung des Deutschen Gewerkschaftsbundes an, sich sehr häufig gehetzt zu fühlen und unter Zeitdruck zu stehen. Das Versprechen, dass die Digitalisierung so viele Aspekte unseres Lebens erleichtert, weil sie viel schneller erledigt werden können, geht für viele Berufstätige scheinbar nicht auf.

Ein enormer Arbeitsauftrag an Weiterbildungsinstitutionen aller Art, aber auch für die Betriebe selbst. Die Schwierigkeit: Die Zielgruppe ist riesig und reicht von Kindern und Jugendlichen bis ins Pensionsalter, die Anforderungen von ganz grundsätzlichen Computerkenntnissen bis hin zu einem tieferen Verständnis von Netzwerken und IT-Sicherheit. Das heißt natürlich auch, dass diejenigen, die jetzt weiterbilden, entsprechend geschult sind. Zukunftsfit ist ein Begriff, der da immer wieder fällt.

1800 oder mehr Einrichtungen werden in Österreich der Erwachsenenbildung zugerechnet, und je nach Zählung sollen es bis zu 100.000 Menschen sein, die sich hier beruflich oder auch ehrenamtlich betätigen.
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Dass Unternehmen derzeit auch einiges an Geld für diese Fortbildungen von Führungskräften und Mitarbeitern lockermachen, als direkte Reaktion auf die Digitalisierung zu interpretieren, wäre aber zu kurz gedacht. Es ist die Akademisierung auf allen Ebenen, die Angebote und Nachfrage dermaßen treibt. Als Symptom der sogenannten Wissensgesellschaft ist diese Entwicklung viel mehr Folge von volatilen Lebens- und Arbeitsrealitäten, die freilich auch schon vor den ersten Debatten zur digitalen Zukunft ein Bedürfnis auf Absicherung schufen. Denn eines ist absehbar: Der unbefristete Vollzeitjob wird zur Rarität. Wie gefährlich das Geschäftsmodell "Bildung zum Aufsteig" aber werden kann, illustrieren die privaten Colleges in den USA, die ihre Lernenden meist nicht mit besseren Chancen, sondern nur mit höheren Schulden entlassen.

Trends in Sachen Weiterbildung nehmen hingegen recht direkt Bezug auf die neuen Vorzeichen: Flexible, interaktive Online-Formate, kombiniert mit Präsenzmodulen, liegen besonders hoch im Kurs. Denn was für Netflix und Fernsehen gilt, ist auch in der Bildung Tatsache: Lernende wollen lernen, wann und wo es ihnen passt, schließlich geht das heute theoretisch von der Couch via Youtube auch. Schnell soll es außerdem gehen: Neben MBAs sind auch akademische Kurzformate beliebt. Im vergangenen Jahr sei die Nachfrage danach an der Limak Austrian Business School um 70 Prozent gestiegen. Apropos: Die Aus- und Weiterbildung von Führungskräften ist momentan ganz generell ein boomendes Geschäft – rasanter Wandel erfordert schließlich Fähigkeiten, ihn zu managen. Mit der Stechuhr, kompromissloser Präsenzkultur, starren Hierarchien und Postenbesetzungen ohne Weitblick wird dies in einer vernetzten, digitalen Arbeitswelt nicht funktionieren.

Baukästen voller Skills

Konkrete Angebote, die exakt in die Digital-Skills-Kerbe schlagen, gibt es bereits: von Start-ups, die Kindern mit Robotik vertraut machen wollen, und Programmierkursen für Menschen ohne spezielle IT-Kenntnisse bis zu neuen Studiengängen oder Kooperationen zwischen Wirtschaft und Bildungslandschaft – mehrere Firmen, darunter etwa Bosch, Kapsch, Bank Austria und Henkel, schlossen sich letztes Jahr beispielsweise zur "Wissensfabrik" zusammen, die Kinder auf künftige Anforderungen vorbereiten soll. "Die Ausbildung der Volksschullehrer ist tatsächlich nicht speziell darauf ausgerichtet, Technik zu vermitteln. Einerseits bilden wir die Lehrer aus, andererseits stellen wir den Schulen Tools zur Verfügung, zum Beispiel Baukästen – einen, mit dem sie Technik üben, zum Beispiel ein Auto bauen können. Einen anderen Baukasten gibt es für Naturwissenschaften", sagt Peter Fouquet, Chef von Bosch Österreich. Künftig sei das Ziel, noch stärker auf Digitalisierung zu fokussieren.

Und bei all jenen, die bereits im Berufsleben stehen? Welche Fertigkeiten sich Unternehmen von Arbeitnehmern wünschen, ermittelt unter anderem das Arbeitsmarktservice (AMS) im sogenannten "New Skills"-Projekt, gemeinsam mit Personalisten und Personalentwicklern. AMS-Chef Johannes Kopf betont die Breite: vom Produktionsarbeiter, der Kommunikationstools verwenden muss, um sich über Arbeitsanweisungen zu informieren bis zur Reinigungskraft, die elektronische Aufzeichnungen darüber führt, in welchem Zimmer sie sich gerade befindet. Besonders im Wandel begriffen sei der Sektor Industrie, die Kommunikations- und Informationsbranche sowie der Verkehr- und Logistikbereich.

2015 hielten allein die neun größten Verbände der Erwachsenen- und Weiterbildung mehr als 230.000 Lernveranstaltungen ab, darauf kamen mehr als vier Millionen Teilnahmen.
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Natürlich sind da auch noch die Spezialisten, um die sich Unternehmen – vor allem jene ohne Digitalisierungsplan in der Schublade – reißen. Beispiel Data Scientists: Für den Harvard Business Review ist er der "sexiest job of the 21st century". Die Unternehmensberatung McKinsey rechnet allein in den USA in diesem Jahr mit 150.000 offenen Stellen. Software- und IT-Kompetenz, auch im Bereich der Sicherheit, stehen von KMUs bis zum Konzern außerdem ganz oben auf der Wunschliste.

Bildungsinstitutionen reagieren und erweitern ihr Akademisierungsportfolio fleißig um die neuen Top-Jobs und gefragten Skills. Die WU Executive Academy hat etwa den Kurzlehrgang Data Science entwickelt, der ab November in drei Modulen Licht in den Datendschungel bringt. Was das gute alte Informatikstudium anbelangt, gab es in den letzten Monaten heftige Debatten. Die Entscheidung, die Studienplätze noch mehr zu beschränken, stieß großteils auf Unverständnis.

Potenzial vor Kompetenz

Gefragt sein werden aber auch Dinge, die nicht unbedingt in einem dreimonatigen Kurs zu lernen sind und wo am Ende kein Zeugnis oder Titel winkt. Personalberater Günther Tengel geht sogar so weit zu sagen, dass Potenzial viel wichtiger als Kompetenz werde. Konsens ist das in Österreich aber noch lange keiner. "Bei vielen Unternehmen herrscht Unklarheit, was genau Gegenstand der Weiterbildung sein soll", sagt Wolfgang Bliem, Experte für Arbeitsmarkt- und Qualifikationsforschung am Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft. So würden viele eher Schulungen zu Hard Skills anbieten, die Soft Skills blieben auf der Strecke. Nicht zuletzt deshalb, weil oft auch die Fantasie fehle, wie man Letztere denn vermitteln soll. "Da bietet man dann lieber wieder einen Computerkurs an, weil es leichter greifbar ist und man die Resultate besser überprüfen kann."

Einerseits werden in Zukunft neue soziale und persönliche Fähigkeiten viel wichtiger, da sich nicht nur das Instrument ändern wird, das man bedient, sondern auch das Zusammenarbeiten ein anderes sein wird. In Fähigkeiten übersetzt kann das beispielsweise heißen, in der Lage zu sein, über weite Distanzen zu kommunizieren: Der eine Mitarbeiter sitzt womöglich im Büro, der andere zu Hause, der dritte in China. Dabei zentral: kurze und präzise Kommunikation, der Umgang mit den Technologien dafür sowieso.

Auch Flexibilität ist eine Tugend, die von vielen Experten als gutes Rüstzeug für die Zukunft genannt wird – in puncto Arbeitszeit und Arbeitsort, "aber auch geistige Flexibilität", sagt Bliem. Vor dem Hintergrund, dass sowohl die Zahlen an Selbstständigen als auch befristete Arbeitsverhältnisse extrem zunehmen und die Langzeitbeschäftigung rapide sinkt, haben sich viele diese Eigenschaft aber ohnehin bereits zu eigen gemacht.

Apropos Arbeit von überall und die fixe Vollzeitstelle als Rarität – ohne gutes Selbstmanagement klappt das nicht. Auch, um eine Abgrenzung von Arbeit zu ermöglichen, die nachweislich nicht nur für das seelische, sondern auch für das physiologische Wohlbefinden notwendig ist.

In der 2011 beschlossenen "Strategie zum lebensbegleitenden Lernen in Österreich" sind die Ziele unter anderem die Teilnahmequoten an nichtformaler Weiterbildung zu steigern und die Zahl der Beschäftigten, die sich während der Arbeitszeit weiterbilden können, von 5,6 Prozent (2007) auf 15 Prozent bis 2020 zu erhöhen.

Das klingt alles gut. Dass diese Fähigkeiten, Querdenken, Kreativität und Problemlösungskompetenz an österreichischen Schulen nicht unbedingt gefördert und vermittelt werden, sagen nicht nur Kritiker, sondern zeigen auch Teilnahmen an internationalen Tests und OECD-Studien. Und im tertiären Sektor wird der Graben zwischen Unis und Fachhochschulen immer Größer. Bei Letzteren geht es per Definition hauptsächlich um Skills, Praxisbezug und Anwendungsnähe. Stundenpläne sind fix vorgegeben, die Mindeststudienzeit kann dadurch bei etwa 70 Prozent eingehalten werden. Der Plan, diesen Sektor massiv auszubauen, sollte daher auch mit einer Offensive in der Entfaltung von Potenzialen einhergehen.

Umdenkprozess findet statt

Nachdem die ersten Studien, die in einer automatisierten Arbeitswelt 2050 einen enormen Rückgang an Erwerbstätigkeit prophezeiten, bereits ein paar Jahre zurückliegen, stellt sich auch in der Bevölkerung eine positivere Sicht auf die Zukunft ein. Verschiedenste Ökonomen wurden in den letzten Jahren nicht müde zu betonen, dass nicht nur Jobs verschwinden, sondern eben auch neue im Entstehen sind. Eine globale Studie von Pricewaterhouse Coopers kommt zwar zum Ergebnis, dass Inder und US-Amerikaner etwas zuversichtlicher als die Europäer sind – weltweit sind aber dennoch etwa drei Viertel der Ansicht, dass Technologie niemals die menschliche Intelligenz ersetzen kann und menschliche Fähigkeiten immer gefragt bleiben. Was damit einhergeht: Arbeitnehmer sind zunehmend bereit, alle paar Jahre neue Fertigkeiten zu erwerben, kombiniert mit einer kontinuierlichen Weiterentwicklung ihrer persönlichen Fähigkeiten. Es habe ein Umdenkprozess stattgefunden, heißt es in der Untersuchung. Darin werden auch vier verschiedene Szenarien entworfen, denn auch die Berater sagen: Niemand kann heute mit Gewissheit sagen, wie die Welt im Jahr 2030 oder 2050 aussieht.

Zu zeigen, dass die Zukunft eben nicht ausschließlich digital ist, wie das auch Zukunftsforscher Harry Gatterer formuliert, ist bei all dem Digitalisierungshype nämlich auch notwendig. Für ihn ist die totale Fixierung auf das Digitale gar die "Bankrotterklärung an das Menschsein", weil lineare Fortschreibungen in der heutigen Zeit nicht mehr funktionieren. Wer nur noch auf die Wolken blickt, wird den Blick für den Sonnenschein, den Regenbogen oder den Blitz am Horizont verlieren. (Lara Hagen, 12.10.2017)