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Überwachung wird immereinfacher – und perfekter. Auch am Arbeitsplatz.

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In der Zentrale der britischen Investmentbank Barclays kam es jüngst zu einem denkwürdigen Vorfall: Investmentbanker stellten mit Befremden fest, dass unter ihren Schreibtischen schwarze Boxen befestigt waren. Beim Management gingen daraufhin mehrere Anfragen und Beschwerden ein. Wie sich später herausstellte, handelte es sich bei den mysteriösen Geräten um Bewegungsmelder der Firma Occupeye, die mit Wärme- und Bewegungssensoren erkennen, ob jemand an seinem Platz sitzt. Das Management ließ die Wanzen installieren, um herauszufinden, wie häufig Banker am Dienstpult sitzen. Laut einem Bericht von Bloomberg wurden die Mitarbeiter über die Überwachungsmaßnahme zu keiner Zeit informiert.

Es ist nicht das erste Mal, dass Mitarbeiter mit Bewegungsmeldern überwacht wurden. Im Januar 2016 entdeckten Redakteure der britischen Tageszeitung "The Telegraph", dass unter ihren Schreibtischen kassettenartige Plastikboxen angebracht waren – es waren dieselben Bewegungsmelder von Occupeye wie im Falle der Investmentbanker. Die Geräte waren am Wochenende zuvor im Newsroom und Anzeigenbüros der Zeitung heimlich installiert worden. Offiziell zur "Sammlung von nachhaltigen Umweltdaten", wie es hieß. Doch die Sensoren sollten anhand der Wärmeentwicklung und der Bewegungsabläufe feststellen, ob die Angestellten am Platz sind, und so ihre Anwesenheit kontrollieren. Die Analytics-Software weist für jeden Sensor einzeln Werte aus und gibt eine vollständige Übersicht über die Präsenz der Mitarbeiter. Auf einer Grafik sehen die Vorgesetzten in Echtzeit, wer gerade am Desk sitzt und wie viel Prozent der Büroflächen belegt sind.

Der Algorithmus als Spion

Den Vorwurf der Überwachung wies Barclays zurück. Die Sensoren würden nicht die Produktivität der Mitarbeiter, sondern die Nutzung der Büroflächen messen, teilte die Bank gegenüber Bloomberg in einer Stellungnahme mit. "Diese Art von Analyse hilft uns, Kosten zu reduzieren, zum Beispiel den Energieverbrauch zu steuern oder Möglichkeiten zu identifizieren, flexible Arbeitsumgebungen umzusetzen." Durch eine effiziente Büroraumverwaltung (Hotdesking), bei der sich Mitarbeiter zu unterschiedlichen Zeiten einen Arbeitsplatz teilen, könnten Energiekosten gespart werden, hieß es zur Begründung. Das mag ein Argument sein. Doch Fakt ist auch, dass Barclays ein Monitoring der Produktivität seiner Mitarbeiter betreibt. So hat die Bank ein Computersystem namens Flight Deck lanciert, das erfasst, wie viel Gewinn jeder Bankkunde einbringt, und diese Einnahmen in einem Ranking aggregiert. So kann das Management bestimmte Kundenbeziehungen priorisieren und entscheiden, wie viel Zeit ein Trader oder Analyst mit einem Kunden verbringt.

So hat zum Beispiel die US-Investmentbank JPMorgan Chase einen Algorithmus getestet, um das Fehlverhalten von Mitarbeitern zu entlarven. Die Software sammelt Daten über Investmententscheidungen und kombiniert diese mit Informationen über geschwänzte Schulungen und Hinweisen auf besondere Risikofreude. Am Ende soll ein lückenloses Profil entstehen, welches das "Risiko Mitarbeiter" beherrschbar machen soll. Der Algorithmus als Spion. Die Bank of America führt in ihren Callcentern Echtzeitstimmanalysen durch, um daraus Rückschlüsse auf die Produktivität zu ziehen. Sensorenbewehrte Badges messen, wie viel die Mitarbeiter reden, wie laut sie sprechen und wie ihre Tonalität ist. Brüllt der Angestellte häufig ins Mikro? Ist seine Stimme schneidend? Raunzt er Kunden an? Der Technik bleibt nichts verborgen.

Eine Party für die Chips

Auch in anderen Branchen feiert die Mitarbeiterüberwachung fröhliche Urständ. Die britische Supermarktkette Tesco hat ihre Warenhausmitarbeiter mit smarten Armbändern ausgestattet, um zu sehen, wohin sie sich bewegen und wie viel sie arbeiten. Führungskräfte überprüften, ob die Aufträge in der vorgegebenen Zeit erledigt wurden. Erfüllte ein Angestellter die Zielvorgabe, erhielt er einen 100-Prozent-Score. Ging ein Angestellter auf die Toilette, fiel sein Score rasant. Auch der Versandriese Amazon hat in seinen Logistikzentren, wo Mitarbeiter, sogenannte Picker, wie Pakete per GPS getrackt werden, ein solches Kontrollregime ins Werk gesetzt.

Der vorläufige Höhepunkt wurde erreicht, als die US-Firma Three Square Market ihren Mitarbeitern kürzlich Mikrochips implantieren ließ, damit sie kontaktlos Türen öffnen oder Snacks bezahlen können. Die Aktion wurde als "Chip-Party" eventisiert. Die Angestellten erhielten ein T-Shirt mit der Aufschrift "I got chipped!". Was als hip und progressiv erscheint, ist in Wirklichkeit eine Gefahr. Wenn Angestellte die Überwachungstechnologie unter der Haut tragen, braucht man schon gar keine Bewegungsmelder mehr zu installieren. (Adrian Lobe, 10.10.2017)