Yasmina Reza, "Babylon", übersetzt von Frank Heibert u. Hinrich Schmidt-Henkel, € 22,70 / 224 Seiten. Hanser-Verlag, 2017

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Der Kater Edouardo hat Nierensteine. Deswegen muss er Hefelösung eingeflößt bekommen. Und das auch, nachdem der Nachbar und Katzenbesitzer seine Frau Lydie im Affekt erwürgt hat. "Was ist passiert, Jean-Lino?", fragt Elisabeth, die Ich-Erzählerin in Yasmina Rezas neuem Roman Babylon, die über Umwege Zeugin dieser fürsorglichen nächtlichen Handlung – samt Leiche im Nebenzimmer – wird, weil sie und ihr Mann Pierre nur wenige Stunden zuvor und einen Stock darunter eine Dinnerparty gegeben haben, zu der eben auch die Nachbarn "von oben" geladen waren: "Bei uns unten haben Sie beide glücklich gewirkt."

Der Schein trügt, wie so oft bei Reza. Also: Was ist passiert? Gar nicht viel, würde man zunächst meinen, und dann wiederum natürlich alles, was ein banales gut- – oder sagen wir besser – schlecht-bürgerliches Leben an Tragikomischem so hergibt. Denn es passiert dieser Mord. Ganz unvermittelt. Und das ist das Neue an diesem kammerspielähnlichen Setting des neuen Werks von Yasmina Reza, die heute eine der meistgespielten zeitgenössischen Theaterautorinnen ist. Hat sich die in Paris lebende Erfolgsautorin in ihrem letzten Buch Nirgendwo noch als feinfühlige Beobachterin ihrer selbst herausgestellt, kehrt sie mit Babylon wieder ins finstere Herz ihrer Erfolgsformel zurück, nämlich zur gänzlich unsentimentalen Beobachtung und Demaskierung sich zu Tode laufender Paarbeziehungen in der ein bisschen gehobenen Gesellschaft. Diesmal also sprichwörtlich.

Aber weniger die Paarbeziehung zwischen Lydie und Jean-Lino, deren alltägliche Abgründe sich in schmerzlich nachvollziehbaren Dialogen auftun, die unmittelbar vor dem Mord stattgefunden haben, ist der Kern dieses Kurzromans, sondern vielmehr die Freundschaft zwischen den Nachbarn Elisabeth und Jean-Lino. Eine Freundschaft, die in einem Treppenhaus entstanden ist (weil beide nie mit dem Lift fahren, er aus Platzangst nicht und sie, um sich eine halbwegs annehmbare Figur zu erhalten) – und ebendort auf die Probe gestellt wird, nicht nur aufgrund der Sorge um den Kater Edouardo, sondern weil Elisabeth Jean-Lino hilft, die Leiche zu entsorgen. Mit erzählerischem Geschick zeichnet Reza hier hochkomplexe Figuren und befördert wieder einmal das Komische im Schrecklichen zutage – oder auch umgekehrt: "Es war ungeheuerlich und zugleich nichts."

Und weil natürlich von Beginn an alles zum Scheitern verurteilt ist, muss alles noch einmal durchgespielt werden – für die untersuchenden Ermittler. Und wir gehen gemeinsam mit Jean-Lino und Elisabeth, deren gegenseitige Zugeneigtheit etwas ungeheuer Tröstliches hat, noch einmal durch diese Nacht. In deren Flüchtigkeit zunächst gar nichts Besonderes passiert ist, bis es eben doch passiert ist: "Was auch geschah, es ließ sich nicht aufhalten." (Mia Eidlhuber, Album, 7.10.2017)