Pell, umringt von Polizei, beim Gerichtstermin am Freitag.

Melbourne – Der Kurienkardinal und Papst-Vertraute George Pell ist zum Beginn seiner gerichtlichen Anhörung wegen Missbrauchsvorwürfen in Australien von einer wütenden Menge in Empfang genommen worden. Demonstranten mit Plakaten erwarteten den Ex-Finanzchef des Vatikans am Freitag vor dem Gericht in Melbourne und beschimpften ihn, wie australische Medien berichteten. "Es ist egal, wie weit oben man im Baum sitzt oder wie viel Geld man hat – niemand steht über dem Gesetz", sagte ein Demonstrant.

In dem nur rund 15 Minuten dauernden Gerichtstermin wurde verkündet, dass Pell ab 5. März kommenden Jahres zu den Missbrauchsvorwürfen Stellung nehmen muss. Zu der auf vier Wochen angesetzten Anhörung werden rund 50 Zeugen erwartet, wie die australische Presseagentur AAP berichtete. Am Ende soll ein Untersuchungsrichter entscheiden, ob die Beweise gegen den 76-Jährigen für einen Prozess ausreichen. Unter den Zeugen werden auch frühere Chorknaben sein.

Pell hat alle Vorwürfe abgestritten. Pells Anwalt Robert Richter sagte am Freitag, er werde beweisen, dass einige der Vorwürfe "unmöglich" wahr sein könnten. Er bezog sich dabei auf die Anschuldigung, einige der mutmaßlichen Taten seien in der Kathedrale von Melbourne verübt worden. Vor dem Richter sagte sein Anwalt der Zeitung "Guardian" zufolge, die Ankläger wollten "furchtbar viele Zeugen aufrufen, und sie müssen wissen, warum sie so viele brauchen".

Der im australischen Ballarat geborene Pell ist der ranghöchste katholische Geistliche weltweit, der wegen Vorwürfen von sexuellem Missbrauch vor Gericht steht. Die australische Polizei hatte die Vorwürfe gegen ihn im Juni erhoben. Papst Franziskus, als dessen Vertrauter Pell gilt, hatte ihn auf eigenen Wunsch von seinen Pflichten im Vatikan freigestellt, damit er sich verteidigen kann. Pell ist die inoffizielle Nummer drei in der Hierarchie des Vatikans.

Seit 2013 untersucht in Australien eine mit großen Vollmachten ausgestattete unabhängige Kommission das Ausmaß von Kindesmissbrauch in katholischen Kirchen und Einrichtungen des Landes. Auch die Reaktion auf entsprechende Vorwürfe wird untersucht. Die Kommission will im Dezember einen Abschlussbericht vorlegen. (APA, red, 6.10.2017)