Christina Ostermayer, Chefin der Wiener Bäckerei Felzl, auf dem Weg zurück zu ihren Wurzeln: "Prioritäten verschieben sich."

Foto: Heribert Corn

Wien – Attila Dogudan konnte es nicht fassen. Fast drei Jahrzehnte lang hatte Christina Ostermayer Restaurants und Cafés des Do-&-Co-Chefs geleitet und den Aufbau seines Firmenimperiums von wenigen hundert bis zu international tausenden Mitarbeitern erste Reihe fußfrei miterlebt.

Ostermayer leitete den Wiener Demel ebenso wie Häuser auf der Albertina und dem Stephansplatz. Und jetzt machte sie sich selbstständig. Noch dazu als Bäckerin. "Er hat mich gefragt, wie ich mein schwer verdientes Gehalt nur in eine sterbende Branche stecken kann", erinnert sich die Kärntnerin. "Ich hätte mir aber auch selbst nicht gedacht, dass ich mir mein Geld mit Brot verdienen kann."

Bäckerei statt Fonds

Ostermayer führt seit mehr als eineinhalb Jahren die Wiener Bäckerei Felzl. Gründer Horst Felzl hatte den Betrieb zuvor innerhalb von 15 Jahren aufgebaut. "Er ist ein leidenschaftlicher Bäcker, hat alles selbst gemacht. Es war wie eine One-Man-Show", zollt Ostermayer dem Unternehmer Respekt.

2015 entschloss er sich dennoch dazu, seine Backstube und drei Filialen zu verkaufen. Ein Bekannter Ostermayers bot an, als stiller Teilhaber die Übernahme zu finanzieren. "Er sah sein Geld hier besser angelegt als bei einem Fonds oder bei einer Bank." Ostermayer stellte den Betrieb strukturell auf neue Beine, eröffnete eine vierte Filiale in der Innenstadt, holte zusätzliche Mitarbeiter und steigerte den Umsatz. "Es geht uns gut. Für uns zwei, Felzl und mich, war es rückblickend einfach ein Glücksfall."

Ohne Netz

Ostermayers Mutter war Wirtin, ihr Vater Viehhändler und Metzger, ihre Großmutter Bäuerin und Köchin. Sie habe Schattenseiten der Selbstständigkeit von Kind an miterlebt und es durchaus genossen, in großen Konzernen zu arbeiten. "Du kannst viel bewegen, hast aber, wirst du etwa krank, immer ein Netz im Hintergrund. Und ich habe mich ja auch bei Do & Co so gefühlt, als wäre es meins", sagt die frühere Managerin und lacht.

Sie habe 27 Jahre an Dogudans Seite gekämpft und ihn, den Kapitän eines großen Schiffes, nie hinterfragt. "Für mich war klar, dass die Richtung stimmt. Und wer da nicht mitziehen will, muss eben sein eigenes Ding durchziehen."

Eigenes Tempo

Irgendwann aber sei bei ihr der Wunsch gewachsen, zu den familiären Wurzeln zurückzukehren, Tempo aus dem Leben rauszunehmen, ohne dabei auf einen Job an der Front zu verzichten. "Ich muss vorne stehen, ich will nicht von der dritten Reihe aus agieren."

Sie habe ihr ganzes Leben lang wahnsinnig viel und gern gearbeitet, sagt Ostermayer. "Zwölf- bis 14-Stunden-Tage waren normal." Vom Job eines Unternehmers habe sie daher wenig abgeschreckt. "Aber ich wollte keinen mehr, der mir den Weg vorgibt, ich wollte mein eigenes Tempo wählen. Und mit dem Alter verschieben sich auch die Prioritäten, das, was man im Leben als sinnvoll erachtet."

Die Entscheidung für Felzl war letztlich eine einsame. Der Freundeskreis riet eher ab, warnte, dass sie sich noch mehr Arbeit auflade. Aber diese ist von einer ganz anderen Qualität, sagt Ostermayer. "Ich bin weniger gestresst, passe besser auf mich auf. Schließlich will ich noch lange für den Betrieb da sein." Gut war auch der Zeitpunkt: Brot wie Handwerk erhielten an Wertigkeit.

Schwere körperliche Arbeit

Felzl zählt mehr als 70 Mitarbeiter. Nächtens fertigen in Wien-Neubau in Handarbeit 13 gelernte Bäcker gut 10.000 Stück Brot und Gebäck. "Es ist schwere körperliche Arbeit", sagt Ostermayer, die eine Anlehre absolvieren will.

Dass sie sich manches leichter vorgestellt hat, räumt sie offen ein. Sie wollte alles organisieren, wie sie es aus einem Konzern gewohnt war. Aber das spiele es nicht. "Ich habe mich anfangs sicher verzettelt." Verwaltung und Bürokratie waren ihr stets gut vertraut. "Aber auf einmal alles selbst zu machen, ohne eine Armada an Leuten im Hintergrund, ist halt eine andere Geschichte." Sich Hilfe und Beratung zu holen, sei sie gewohnt und halte sie für klug – auch wenn ihr Vorgänger entsetzt war, "dass mir da nicht schad ist ums Geld".

Theaterworkshop statt Verkaufsschulung

Sich in einer männerdominierten Branche zurechtzufinden, sah sie nie als Hürde. "Ich hatte mit 23 die erste leitende Position, was so manch meiner türkischen Mitarbeiter nicht ganz packen konnte", erzählt sie. Nachsatz mit Schmunzeln: "Dass nun auch der eine oder andere Bäcker sprachlos war, als Felzl verkaufte, noch dazu an eine Frau, überrascht mich also nicht."

Ostermayer lässt ihre Mitarbeiter in Workshops vom Volkstheater ausbilden, weil sie es für vernünftiger hält als reine Verkaufsschulungen und "weil es den Leuten Spaß macht." Was ist mit Expansion? Eine weitere Filiale kann sie sich noch vorstellen. "Mitunter kommt mein altes Ego durch. Ich glaub, zukaufen, noch stärker ausbauen zu müssen", sinniert sie. "Aber dann besinn ich mich wieder." (Verena Kainrath, 8.10.2017)