Ehrlich gestanden? Dann lieber nicht – solche Sachen gehen einem durch den Kopf, wenn man das gefühlte tausendste Wahlplakat mit den Worten "Jetzt oder nie!" sieht. Aber man beschäftigt sich dann ohnedies nicht ausreichend lange mit dem Gedanken, weil man sich wenige Meter weiter fragen muss, warum der "Vordenker" auf dem Plakat den Balken mit dem Schriftzug hinterm statt vorm Kopf hat. Und welche Islamisierung er in Kirchberg an der Raab fürchtet?

Islamisierung ist übrigens eines der Worte, das ganz oben auf der Liste jener Worte steht, die man fürchtet, ständig zu hören, wenn man eine Woche durch Österreich reist und wildfremde Menschen nach ihren politischen Wünschen und Ängsten fragt – und nie hört.

Schade eigentlich. Denn ich hätte sofort, wie einen Dolch, die Frage "Wie viele Islamisten kennen S'n leicht?" als eine unfaire und journalistisch völlig danebene Falle aufgestellt und in einem Bruchteil einer Antwort zuschnappen lassen. Aber geplante Witze funktionieren eben selten. Das lernt auch gerade die SPÖ.

Tango Scandalo

Beim Tango mit Tal Silberstein ist die Partei über die eigenen Füße gestolpert und hat dabei generös die eigenen Schmutzkübel umgetreten, die sie eigentlich als Absperrung aufstellen wollte. Jetzt versuchen sie, in der SPÖ die Sache zu kalmieren – dabei ist das gar nicht nötig, erfahre ich auf der Reise. Solche Skandale gehören für die Wähler schon dazu.

Roland Holzbauer glaubt fest an das Bestehen des Sozialstaats.

Es ist den Menschen schon komplett wurscht, wer wen, wann, wo und wie anpatzt. Auch wenn der Jungvater Roland Holzbauer aus Niederösterreich sagt, dass es ihm eigentlich lieber wäre, die Parteien würden mit ihren eigenen Leistungen um Stimmen kämpfen als mit den Schwächen der anderen. Und damit steht er wohl stellvertretend für die Mehrzahl der Wähler.

Künstler und Pensionist Peter Stelzl ist für die Ganztagsschule.
Guido Gluschitsch

Was die Menschen an der Affäre Silberstein wirklich ärgert, das sind die Geldsummen, die da im Spiel sind: "500.000 Euro Beraterhonorar und 100.000 Euro Spitzelhonorar hat es geheißen" – das sind Beträge, für die müssen die meisten der Befragten lange arbeiten. Und für jemanden, der einen Hof betreut, für jemanden, der in der Fabrik arbeitet oder der wie der Steirer Peter Stelzl in der Pension malt und Bücher schreibt, ist Facebook maximal ein schlechter Zeitvertreib. Von seiner Kunst könnte er nicht leben, auch wenn er inzwischen unzählige Bilder gemalt, 30 Bücher geschrieben hat und kaum ein Wochenende ohne Lesung vergeht.

Künstler und Lebenskünstler

Peter Stelzl war übrigens einer der wenigen Menschen, die während dieser Woche eine klare Botschaft hatten, was sie sich von der nächsten Regierung wünschen. In seinem Fall – er ist pensionierter Lehrer – ist es die Ganztagsschule, denn in ihr sieht er die wichtigste Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg einer Familie.

Ingo Bayer war ebenfalls konkret mit seinen Forderungen. Er lebt im Lungau, mitten im wirtschaftlichen Niemandsland Österreichs, einer Region, die vom Wintertourismus lebt und ihn daher auch eher saisonal mit Arbeit und damit Lohn versorgen kann. Streicht man ihm soziale Hilfen oder schiebt, wie schon angedroht, seine Frau auf die Philippinen ab, ist das für ihn ein Desaster unglaublichen Ausmaßes.

Wie es Menschen ohne Lobby im Rücken geht, durfte ich am Kasberghof in Scharnstein erleben. Dort bezog ich für eine Nacht ein Zimmer. "Warmwasser täglich: 5.30 bis 6.30 Uhr, 17.30 bis 19.00 Uhr" stand unter anderem auf dem Zettel, den ich gemeinsam mit dem Zimmerschlüssel bekam. Dort stand auch, zu welcher Uhrzeit die Heizung funktioniere – das tat sie aber eh nicht.

Viele schimpfen, dass es zu viele Wahlplakate gebe und die obendrein sinnlos seien. Dabei haben diese sogar das Potenzial, einem als kleinkünstlerische Ablenkung zu dienen.
Foto: Guido Gluschitsch

Das Zimmer um 40,50 Euro pro Nacht war dreckig, kalt und stank. Nicht einmal den Spinnen reichte es zum Überleben, das sah man an mehreren toten Tieren. Den nicht vorhandenen Teppich konnte man sich aus den Haaren der vorigen Gäste selbst stricken, und über die Zustände im Bad reden wir gar nicht. Das Angenehmste war da noch das Lachen der beiden Zimmernachbarn, die sich ein paar Würstel am Zimmer brieten. Wie der Strom dafür abgerechnet wird, steht auch auf dem Zettel.

In Zwettl (auf langen Reisen reicht ein Buchstabe für einen ausreichend gelungenen Gedankensprung) saß im Gasthaus Schön ein Damenkränzchen, das ich kurzerhand Tarantula taufte, nicht nur, weil sie den einzigen Herrn in ihrer Mitte umspannen, sodass er in einer Stunde nur einmal zu Wort kam. Die Rädelsführerin herrschte mich schon beim Betreten des Lokals an – vermutlich wegen des Mikrofons in meiner Hand. In selbiges wollte sie "sicher nicht sprechen". Wie auch keine andere der Damen. Nur hinter vorgehaltener Hand sprachen sie von "Sebastian Kurz, den jetzt alle für einen Messias halten, als könne er über Wasser gehen oder dieses gar auch noch teilen". Und dass sich die Leut' schön anschauen werden, wenn der junge Bub erst einmal Kanzler ist.

In Kirchberg sucht Strache Verstärkung für seinen Kampf gegen die Islamisierung, während die Bürger den Perchtenlauf vorbereiten.
Foto: Guido Gluschitsch

"Liste Sebastian Kurz" hörte ich die ganze Woche auch nie. Wenn, dann war von der ÖVP die Rede, und bis auf einen, der zweifelte, war sich jeder und jede sicher, dass die ÖVP das Rennen machen werde. Und niemand wollte glauben, dass Kurz die alten ÖVP-Zöpfe tatsächlich abschneiden könnte.

Nie fiel das Wort Strache, nie war von Ausländern die Rede oder Flüchtlingen. Das liegt vielleicht am Frager im rosa Auto. Einig waren sich alle, dass dieses politische Gezänk nervt. Es solle endlich was passieren, nicht immer nur gestritten werden.

DER STANDARD

Nur in Leibnitz sprach ein kahler Mann von einem drohenden Wahldesaster, "auch wenn sich die Roten gerade zerstreiten", ein anderer fürchtete, die Roten könnten noch auf Platz zwei kommen, "weil die Österreicher ja Hascherln sind und lieber die Partei wählen, die ihnen das Kopferl tätschelt – auf Kosten der anderen."

Und dann taucht im Augenwinkel ein Plakat der Grünen auf. "Unser Klima". Viktor Klima? Na, eh die Lunacek. Ach so: "Für unser Klima". Buah. Das war knapp. (Guido Gluschitsch, 7.10.2017)