Hinterbliebene der Getöteten wohnen dem Prozess bei.

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Ankara – In Istanbul hat am Montag ein Großprozess zu einer der dramatischsten Episoden des gescheiterten Militärputsches vom Juli 2016 begonnen. Vor dem Gericht müssen sich 143 Ex-Soldaten wegen des Vorwurfs verantworten, in der Putschnacht auf einer der Bosporus-Brücken dutzende Zivilisten erschossen zu haben, die sich den Putschisten entgegengestellt hatten.

Unter den Angeklagten sind auch 30 Offiziere. Ihnen droht mehrfach lebenslange Haft. Die abtrünnigen Soldaten hatten am Abend des 15. Juli eine Bosporus-Brücke in Istanbul mit Panzern besetzt, um den Verkehr von der asiatischen Seite der Metropole zum europäischen Teil zu blockieren. Nach einem Aufruf von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, sich den Putschisten auf den Straßen zu widersetzen, hatten sich dann tausende Menschen auf der Brücke versammelt.

34 Zivilisten getötet

Die Putschisten eröffneten das Feuer, 34 Zivilisten wurden getötet. Auch sieben Soldaten starben bei der Auseinandersetzung. Unter den zivilen Opfern waren der langjährige Wahlkampfdirektor von Erdoğans AK-Partei Erol Olçok und dessen 16-jähriger Sohn Abdullah Tayyip. Am frühen Morgen ergaben sich die Putschisten auf der Brücke der Polizei und legten ihre Waffen nieder.

Die Regierung macht die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich. Der langjährige Verbündete Erdoğans hatte sich 2013 mit ihm überworfen, bestreitet aber jede Verwicklung in den Umsturzversuch. Seitdem hat die Regierung rund 50.000 mutmaßliche Gülen-Anhänger festgenommen und 140.000 aus dem Staatsdienst entlassen.

Der Prozess in Istanbul ist einer von mehreren Verfahren gegen mutmaßliche Putschbeteiligte. Erst am Mittwoch wurden in Mugla 40 Angeklagte zu lebenslanger Haft verurteilt, weil sie in der Putschnacht versucht haben sollen, Erdoğan zu ermorden. In den meisten Verfahren steht das Urteil aber noch aus. Kritiker werfen der Regierung vor, bei der Verfolgung der Putschisten jedes Maß verloren zu haben.