Beispielloser Streit mit dem wichtigsten Nato-Verbündeten: Der türkische Staatschef Erdoğan (links) provozierte US-Präsident Trump mit der Verhaftung eines Mitarbeiters im US-Konsulat in Istanbul.

Ankara/Athen – Übermäßige Vorsicht und Zögerlichkeit sind das Letzte, was sich der türkische Staatspräsident Tayyip Erdogan im Moment vorhalten lassen müsste. Mit der Festnahme eines wichtigen türkischen Mitarbeiters im Generalkonsulat der USA in Istanbul am Mittwochabend vergangene Woche hat der autoritär regierende Staatschef einen bisher beispiellosen Streit mit dem größten Nato-Verbündeten losgetreten.

Montagmittag bestellte das türkische Außenministerium die Nummer zwei der US-Botschaft in Ankara ein und verlangte die sofortige Rücknahme des Visa-Stopps der USA gegen die Türkei. Doch das war noch nicht das letzte Wort.

Nur knapp eine Stunde nach der Einberufung von Philipp Kosnett wurde bekannt, dass die türkische Staatsanwaltschaft auch noch gegen einen zweiten Konsulatsmitarbeiter Haftbefehl erlassen hat. Weil der Gesuchte nicht greifbar war, nahm die Polizei dessen Ehefrau und Sohn fest. Beide Mitarbeiter des US-Konsulats haben als türkische Staatsbürger keine diplomatische Immunität.

Die türkische Lira, die seit dem Putsch und der Verhängung des Ausnahmezustands im vergangenen Jahr bereits erheblich an Wert verloren hatte, stürzte am Montag ab: Rekordwerte von 4,35 für einen Euro und 3,70 für den Dollar wurden zeitweise notiert. Die Aktie von Turkish Airlines verlor bei Öffnung der Börse gleich elf Prozent.

Der türkische Unternehmerverband Tüsiad rief zur Beilegung des Visastreits auf. Ankara hatte zuvor seinerseits die Visavergabe eingestellt und dies mit der persönlichen Sicherheit der türkischen Diplomaten in den USA begründet.

Tiefer Riss

Die von Washington verhängte, zeitlich unbefristete Visablockade hat für die türkische Wirtschaft und den Reiseverkehr zwischen beiden Ländern erhebliche Auswirkungen. Sie zeigt aber auch, wie tief mittlerweile der Riss zwischen Erdogans Türkei und dem Westen geworden ist. Erdogan sagte am Nachmittag seinen üblichen Auftritt vor der Presse am Flughafen in Ankara vor einer Auslandsreise ab. Der türkische Präsident flog nach Kiew.

Ein Treffen, das US-Botschafter John Bass am Montag wünschte, lehnte der türkische Justizminister zunächst ab. Abdülhamit Gül war selbst durch die neuerlichen Festnahmen überrumpelt worden. Dass die türkische Justiz mittlerweile aus dem Präsidentenpalast gelenkt wird, gilt als offenkundig. Unerwartete Justizentscheidungen gibt es dennoch: Am Montag ordnete ein Berufungsgericht ein neues Verfahren für den Oppositionsabgeordneten Enis Berberoglu an. Er war in einem als politisch angesehenen Prozess wegen angeblichen Geheimnisverrats zu 25 Jahren Haft verurteilt worden.

US-Botschafter Bass hatte die Verhaftung des langjährigen Konsulatsmitarbeiters Metin Topuz gleichwohl als einen Racheakt bezeichnet. Der Botschafter bezog sich damit auf das Ansuchen der Türkei nach Auslieferung des türkischen Predigers Fethullah Gülen.

Der ehemalige politische Verbündete Erdogans lebt im selbstgewählten Exil in Pennsylvania und wird von der türkischen Führung vor allem für den Putsch im Juli 2016 verantwortlich gemacht. Die USA haben bisher keine Anstalten gemacht, dem Auslieferungsbegehren zu folgen.

"CIA-Spion"

Der 58-jährige Topuz soll als Verbindungsmann für die US-Drogenfahndungsbehörde DEA gearbeitet haben. Die türkische Staatsanwaltschaft wirft ihm dagegen vor, mit nicht weniger als 121 führenden Mitgliedern der Gülen-Bewegung in Kontakt gestanden zu haben. Die Regierungsmedien im Land porträtieren ihn als Spion der CIA.

Washingtons Verhältnis zu Ankara war bereits angespannt. Trotz mehrfacher Bitten von US-Präsident Donald Trump ließ Erdogan bisher auch nicht den amerikanischen Pastor Andrew Brunson freikommen. Brunson sitzt seit nun einem Jahr in U-Haft. Erdogan hatte bereits einen Tausch mit Gülen vorgeschlagen. (Markus Bernath, 9.10.2017)