Zwei Jahre lang standen Horst Seehofer und Angela Merkel weit auseinander. Jetzt haben sie in der Frage der Obergrenze ihre "Mitte" gefunden und können Jamaika-Sondierungen beginnen.

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Die Zeit ist knapp bemessen. Nur 30 Minuten können oder wollen die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer an diesem Montag in der Berliner CDU-Zentrale Rede und Antwort stehen. Und dennoch geben sie bei dieser Gelegenheit nicht nur Fakten zum Besten, sondern sinnieren auch über den richtigen Zeitpunkt im Leben.

Warum, will ein Journalist bei der Pressekonferenz wissen, habe es denn zwei Jahre gedauert, bis sich CDU und CSU endlich in der Frage der Obergrenze von Flüchtlingen einigen konnten? In dieser Zeit hatte Seehofer immer wieder erklärt, bei 200.000 pro Jahr müsse Schluss sein. Und Merkel hatte erwidert, eine starre Obergrenze werde es mit ihr nicht geben.

"Alles hat seine Zeit, und die war gestern"

Seehofer holt weiter aus und sagt: "Es ist so im Leben, auch im Privatleben, in vielen Fällen trifft man eine Entscheidung, wo man sich selbst die Frage stellt, warum einem das nicht vor einem Jahr eingefallen ist." Merkel ist kürzer, ihre Erklärung geht so: "Alles hat seine Zeit, und die war gestern."

In der Nacht auf Montag haben sie und Seehofer sich nämlich geeinigt und ihren Streit beigelegt. Man fand einen Kompromiss und der lautet: Die Netto-Zuwanderung aus humanitären Gründen solle pro Jahr nicht mehr als 200.000 Menschen betragen. Das klingt nach der von Seehofer geforderten Obergrenze. Doch dieses Wort findet sich im gemeinsamen Positionspapier nicht.

Vielmehr heißt es dort: "Wir wollen erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen (Flüchtlinge und Asylbewerber, subsidiär Geschützte, Familiennachzug, Relocation und Resettlement, abzüglich Rückführungen und freiwillige Ausreisen künftiger Flüchtlinge) die Zahl von 200.000 Menschen im Jahr nicht übersteigt."

Anpassung möglich

Auch bei der Zahl von 200.000 ist man flexibel. Sollten es "internationale Entwicklungen" erfordern, dann können Bundesregierung und Bundestag eine "geeignete Anpassung des Ziels nach unten oder oben beschließen", steht in der Vereinbarung.

Um nicht wieder so viele Flüchtlinge wie 2015 nach Deutschland kommen zu lassen, werden mehrere Maßnahmen aufgelistet: Fluchtursachenbekämpfung, Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitstaaten nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens, Schutz der EU-Außengrenzen, EU-weite gemeinsame Durchführung von Asylverfahren an den Außengrenzen. Geplant ist auch, Marokko, Tunesien und Algerien als sichere Herkunftsländer einzustufen.

Zudem sollen Neuankommende zunächst in "Entscheidungs- und Rückführungszentren" untergebracht werden, bis über ihre Verfahren entschieden ist. Es gibt bereits drei solche Zentren, zwei in Bayern, eines in Baden-Württemberg. Nicht angetastet wird das individuelle Recht auf Asyl. Das war zuvor eine Bedingung von Grünen und FDP gewesen. Außerdem geplant: ein Zuwanderungsgesetz für Fachkräfte.

Gespräche beginnen

Nach der Einigung können nun die Gespräche über eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen beginnen. Am Mittwoch, den 18. Oktober gehen zunächst Union und FDP an den Start, dann folgt ein Gespräch der Union mit den Grünen. Einen Tag später treffen sich FDP und Grüne, am 20. Oktober dann alle Parteien (CDU, CSU, FDP, Grüne) in einer Runde.

Aus den kleineren Parteien kommen unterschiedliche Signale. So erklärt Grünen-Chefin Simone Peter, ihre Partei sei gegen Ausreisezentren und wolle keine weiteren sicheren Herkunftsländer. Ihr Co-Chef Cem Özdemir gibt sich diplomatischer und meint: "Kompromiss heißt immer: Alle müssen sich bewegen."

Ähnlich verhält sich die FDP. Während Vize Wolfgang Kubicki betont, der Unions-Kompromiss werde nur eine kurze Halbwertszeit haben, lobt Generalsekretärin Nicola Beer: "Auf dieser Basis kann man jetzt die Sondierungen beginnen." (Birgit Baumann aus Berlin, 9.10.2017)