Zentrales Thema ist für Jan Bureš die Europapolitik.

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STANDARD: Im tschechischen Wahlkampf ist der Milliardär Andrej Babiš mit seiner Partei Ano klarer Favorit. Warum fallen die Sozialdemokraten so weit hinter ihren derzeit kleineren Koalitionspartner zurück?

Bureš: Eigentlich verlangen die tschechischen Wähler nach wie vor nach einem starken sozialen Schutz durch den Staat. Aber die Sozialdemokraten haben sich dadurch, dass sie bereits häufig an der Macht waren, inhaltlich ein wenig erschöpft. Außerdem ist Babiš mit seiner stark ausgeprägten Antikorruptionsrhetorik erfolgreich.

STANDARD: Aber Babiš ist selbst in Affären verstrickt, zuletzt im Zusammenhang mit dem angeblichen Missbrauch von EU-Fördergeldern für das Freizeitareal Čapí hnízdo.

Bureš: Offenbar hält sich in der Gesellschaft die Vorstellung, dass ein Großunternehmer im Laufe seiner Karriere eben kleinere oder größere Betrügereien begehen muss. Da gibt es wohl eine gewisse Toleranz. Babiš wiederum vermittelt das Bild eines fähigen Geschäftsmannes und bestreitet, etwas Illegales getan zu haben. Trotzdem ist die Affäre für ihn natürlich unangenehm. Aus heutiger Sicht würde er das Geld der EU vermutlich lieber gar nicht nehmen. Es war nur ein Bruchteil von dem, was er nach eigenen Angaben selbst in das Projekt gesteckt hat.

STANDARD: Seit langem gibt es Vorwürfe, Babiš habe einst für die kommunistische Staatssicherheit gearbeitet. Inwiefern beeinflusst das Thema den Wahlkampf?

Bureš: Das interessiert heute nicht mehr besonders viele Menschen. Im konkreten Fall gibt es etwa das Argument, dass Babiš damals Leute nicht aus ideologischen Gründen verraten habe, sondern weil diese ihre Positionen in Außenhandelsbetrieben der damaligen Tschechoslowakei zur persönlichen Bereicherung genutzt hätten. Ethisch und rechtlich ist das eine komplizierte Sache. Ich glaube, die Gesellschaft ist des Themas bereits überdrüssig.

STANDARD: Welche Europapolitik könnte man von einem eventuellen Wahlsieger Babiš erwarten?

Bureš: Die Zugehörigkeit zum Kern Europas wird für die nächste Regierung eine ganz zentrale Frage sein. Was Babiš betrifft, so hat er etwa mehrfach gesagt, dass er gegen den Euro ist. Aber für viele seiner Wähler, etwa für Unternehmer, könnte der Euro eher von Vorteil sein. Da stellt sich die Frage, inwieweit Babiš bereit wäre, seine Meinung zu korrigieren. Er ist ja ein flexibler Pragmatiker. Außerdem hat er viele Kontakte zu westlichen Politikern, eine prowestliche Orientierung ist für ihn wichtig. Die am stärksten proeuropäischen Parteien sind aber wohl die Sozialdemokraten und die (rechtsliberale, Anm.) Top 09.

STANDARD: Im Jänner gibt es in Tschechien Präsidentschaftswahlen. Wird das die Regierungsbildung nach der Parlamentswahl beeinflussen?

Bureš: Präsident Miloš Zeman weiß, dass er auf zumindest einen Teil der Ano-Wähler angewiesen ist, wenn er wiedergewählt werden will. Er darf also keinen Konflikt mit den Wählern von Andrej Babiš riskieren. Deshalb funktioniert auch die Verbindung zwischen den beiden ganz gut. (Gerald Schubert, 10.10.2017)