Autor Robert Menasse.

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Die sechs Finalisten.

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Frankfurt am Main – Robert Menasse hat am Montagabend den diesjährigen Deutschen Buchpreis gewonnen. Ausgezeichnet wurde er am Vorabend der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse für seinen im September erschienenen Roman "Die Hauptstadt" – mit der er Brüssel meint.

Es ist nicht Menasses erste Beschäftigung mit der europäischen Kapitale. 2012 etwa veröffentlichte er den Essayband "Der Europäische Landbote", in dem er den Kontinent vor die Wahl stellte: "Entweder geht das Europa der Nationalstaaten unter, oder es geht das Projekt der Überwindung der Nationalstaaten unter." Das Samenkorn wächst nun auf knapp 460 Seiten literarisch weiter und zeigt zeitdiagnostisch mit kunstvoller Sprache und Genuss den Apparat EU, sein Funktionieren und seine Fäden.

Dank an die Beamten

Schon seit langer Zeit arbeite er nicht mehr für die Schublade, und er habe wirklich nicht gewusst, dass er den Preis bekommen werde, sagte Menasse in seiner kurzen Dankesrede im Frankfurter Rathaus, in der er wider alle negativen Klischees über Brüssels Beamte auf eines hinwies: Jene hätten verhindert, dass Amazon mit seiner Klage gegen die Buchpreisbindung durchkomme. Und hätten damit auch "das Sterben von abertausenden Buchhandlungen auf diesem Kontinent" verhindert.

Menasse darf sich neben 25.000 Euro Preisgeld auch über einen durch den Gewinn üblicherweise gesteigerte Verkaufserfolg freuen. Die übrigen Finalisten der seit 2005 vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels ausgelobten prestigeträchtigen Auszeichnung – Gerhard Falkner ("Romeo oder Julia"), Thomas Lehr ("Schlafende Sonne"), Marion Poschmann ("Die Kieferninseln"), Sasha Marianna Salzmann ("Außer sich") und als zweiter Österreicher Franzobel ("Das Floß der Medusa") – erhalten je 2.500 Euro.

Das Humane ist nicht gegeben

"Das Humane ist immer erstrebenswert, niemals zuverlässig gegeben", setzt die Begründung der siebenköpfige Jury für ihre Entscheidung an. "Dass dies auch auf die Europäische Union zutrifft", zeige Die Hauptstadt "auf eindringliche Weise." Der Roman mache "unter anderem unmissverständlich klar: Die Ökonomie allein, sie wird uns keine friedliche Zukunft sichern können. Die, die dieses Friedensprojekt Europa unterhöhlen, sie sitzen unter uns – 'die anderen', das sind nicht selten wir selbst." In dem Buch sei "Zeitgenossenschaft literarisch so realisiert, dass sich Zeitgenossen im Werk wiedererkennen und Nachgeborene diese Zeit besser verstehen werden".

Menasse ist nach Arno Geiger zum Auftakt 2005 mit "Es geht uns gut" der zweite österreichische Gewinner des Deutschen Buchpreises. Zudem geht er ins Rennen um den heuer zum erst zweiten Mal ausgelobten Österreichischen Buchpreis, dessen Shortlist am Dienstag veröffentlicht wird.

Anerkennung und Anspruch

Gefragt, ob der Preis für ihn etwas Besonderes sei, führte Menasse nach der Verleihung aus: "Ja, aus einem einfachen Grund: Er ist der wirksamste. Ich habe sehr schöne Preise bekommen, die mir als Zeichen der Anerkennung meiner literarischen Arbeit sehr viel bedeutet haben. Aber da weiß man ja nicht einmal, ob man im Gespräch ist, und wird dann angerufen, von der Jury-Entscheidung in Kenntnis gesetzt und gefragt, ob man den Preis annimmt. Das ist eine plötzliche Freude, auf die man sich nicht vorbereiten kann. Und dann erhält man den Preis, und es gibt in den Zeitungen eine 'Kurz notiert'-Meldung. Bei diesem Preis ist es anders. Es ist eine ungeheure Marketingleistung, einen Preis so wirksam zu machen. Gleichzeitig lebt man ja auch anders, wenn man weiß, man ist nominiert."

Den Anspruch seiner Literatur beschrieb er wie folgt: "Ich habe immer den Anspruch gehabt, ich will gute Literatur machen, aber ich will auch eine bestimmte Form von Wirksamkeit. Ich wollte mehr bewegen, als einfach im Bett gelesen zu werden, und dabei schläft man ein. Ich habe den Anspruch, dass ich literarisch verdichte, was zentrale Fragen unserer Zeitgenossenschaft sind, und damit auch mithelfe, einen Diskurs zu befeuern, der sich damit auseinandersetzt. Die Menschen hier sagen: Das große Abstraktum EU hat durch mich ein Gesicht bekommen, und dadurch können wir das auch anders diskutieren – nicht als Popanz, der weltfremd in unser Leben hineinregiert, sondern als ein von Menschen gemachtes Projekt, das vernünftig ist, aber auch viele Fehler hat, weil es eben von Menschen gemacht ist. Was wir diskutieren müssen, ist nicht: EU ja oder nein, sondern: Wie können wir Anspruch und Grundidee der EU rekonstruieren, und wie können wir die Krisen, die wir gegenwärtig erleben, überwinden?" (wurm, APA, 9.10.2017)