Auf der Bergabpassage mit dem argen linken Haken kommt einem beim Anbremsen unweigerlich ein wenig das Heck. Da hilft das ganze Anrufen der heiligen Madonna nichts. Und sollte der Hintern einmal doch nicht zum Überholen ansetzen, dann kannst du es sowieso gleich vergessen, dann reißt du hinten ab, verlierst den Vordermann schneller, als dir ein Vorwand einfällt, der später, in der Boxengasse, als Begründung herhalten kann, damit dich die anderen weiter finster und argwöhnisch anschauen. Ein Lächeln auf der Rennstrecke ist nämlich nie ein ganz gutes Zeichen. Nur so unter uns.

Er ist grün, er ist im Rennmodus laut, er ist schnell und teuer – der Mercedes-AMG GT R, die Spitze der GT-Familie. Das Wichtigste aber: Er ist wohl gerade der Primus der Klasse.
Foto: Daimler

Wir befinden uns am Bilster Berg bei Paderborn, einer so atemberaubenden Rennstrecke, im Mercedes-AMG GT-R, einem so atemberaubenden Sportwagen, dass es kein Koch der Welt schafft, dass wir den Helm abnehmen, die Handschuhe ausziehen und damit aufhören, uns um die Autos in der Boxengasse zu streiten. Dabei haben wir schon einen nennenswerten Teil der Anreise im pulstreibenden GT-C Edition 50 zugebracht – Sonderausstattung zur Feier von stolzen 50 Jahren AMG. Ab 190.400 Euro gibt es den Sonder-GT mit Dach. 205.600 Euro legt man für den Roadster mit Stoffverdeck hin. 557 PS. Kurzum, uns war nicht fad.

585 PS holt der AMG GT R aus dem 4-Liter-V8.
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Aber jetzt: Mercedes-AMG GT R. Für diesen Boliden schöpfen die recht engagierten Damen und Herren in Affalterbach satte 585 PS aus dem 3982 Kubikzentimeter großen V8, der in unterschiedlichen Leistungsstufen allen Modellen der GT-Familie als Antrieb dient – vom GT mit 462 PS, was eh schon reicherte, über den GT S mit 510 PS und den eh schon erwähnten GT C bis zum, hechel, hechel, GT R.

Insiginien der Kraft und des Klangs.
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Die wahre Größe des GT R zeigt sich aber nicht jetzt, mit den Semislicks, sondern schon am Vormittag, als es noch regnete und die Rennstrecke für einen Sportwagen das war, was ein Eislaufplatz seinerzeit für die Ingrid Wendl war.

Hutfahrer im AMG GT R.
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Da braucht es ein paar Runden, bis man so viel Vertrauen in den Wagen hat, dass man das Stabilitätsprogramm auf Sport stellt. Dabei ist der AMG GT R so glasklar bei seinen Rückmeldungen, dass man ohne Übermut, schiere Böswilligkeit oder rigoroses Unvermögen gar nicht in den Bereich kommt, wo die elektronischen Helfer den Wagen auf dem Rundkurs halten müssen. Da resigniert sogar der Kollege, der sonst nix über einen 911er kommen lässt und den auch zu bedienen weiß – aber der AMG GT R spielt noch einmal in einer ganz anderen Liga.

Das hübsch verpackte Kraftwerk.
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Man darf natürlich annehmen, dass bei einem Sportwagen mit einem Ab-Preis von 211.700 Euro eh keine halben Sachen gemacht werden. Aber man merkt, dass es AMG bei diesem Auto um mehr ging als um einen Boliden, den man sich gerne anschaut, der auf Knopfdruck auch laut sein kann und der die Nachbarn neidig macht.

"... eine Präzision, die Uhrmacher schwindlig macht ..."
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"Wir demonstrieren unsere Entwicklungs- und Rennsportkompetenz und verschieben den fahrdynamischen Grenzbereich weiter nach oben", erklärt Mercedes-AMG die fetten Überschriften im Lastenheft des Wagens. Stimmt schon, das sind Stehsätze, die so auch bei jedem S- oder RS-Modell eines x-beliebigen Herstellers fallen könnten. Nur diesmal stimmt es. Die Fuhre pickt so gut und so lange auf der Strecke, dass man schnell den Grenzbereich zu fürchten beginnt, der dann naturgemäß schmaler ist als jener zwischen Genie und Wahnsinn. Ein Irrtum, wie sich herausstellt – jedenfalls, wenn man den Wagen mit Ehrfurcht bewegt. Es ist, als ob er Respektlosigkeit riechen könnte.

Mit Handschuhen und Helm geht ein wenig das Edle des AMG GT R verloren, wie die Haptik des Innenraums. Und trotzdem gibt es Situationen ...
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So herrlich zu fahren ist der AMG GT R aus ein paar ganz einfachen Gründen. Einer heißt Transaxle. Der Frontmittelmotor liegt weit hinten, das Sieben-Gang-Doppelkupplungsgetriebe überhaupt gleich an der Hinterachse. Zudem hat der AMG GT R ein "aktives Aerodynamikprofil, das zwischen Vorderachse und Frontschürze aus dem Unterboden fährt und vorn den Auftrieb reduziert, während der feststehende Heckflügel mit dem verstellbaren Flügelblatt für einen deutlich erhöhten Anpressdruck an der Hinterachse sorgt", erklären die Techniker an der Rennstrecke.

Das Flügerl ist nicht nur zum Angeben und als mobile Theke gedacht.
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Doch Vorsicht. Ein genialer V8 in Kombination mit Leichtbau- und Aerodynamikschmähs der ganz feinen Klinge reicht nicht aus, um einen gelungenen Rennwagen auf die Räder zu stellen. Denn wie sagt der Andreas Stockinger immer: "Ein Auto ist mehr als die Summe seiner Teile."

In 3,6 Sekunden von null auf hundert und von 200.000 Euro auf null am Bankkonto in noch weniger.
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Der AMG GT R spielt diesem Satz jetzt nicht gerade in die Hand, denn AMG hat die edelsten Komponenten mit viel Rennerfahrung – und auch Material, wie das Fahrwerk mit Gewindeanteil, dessen Technologie direkt aus der Black-Series stammt, beweist – zu einem atemberaubenden Fahrzeug kombiniert. Als ob es so einfach wäre. (Guido Gluschitsch, 9.11.2017)