Robert Menasse: diesjähriger Gewinner des Deutschen Buchpreises.

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Man hat Robert Menasse schon als Chronisten der Entgeisterung bezeichnet oder als querdenkerischen Diskutanten und pointierten Festredner. Anderen gilt der in Wien geborene Schriftsteller, dem ab und an Briefchen des Inhalts "Missgeburt, geh zurück nach Israel!" ins Haus flattern, als Miesmacher und Nestbeschmutzer.

Nicht dass solches den 1954 geborenen Autor, dessen Vater 1938 mit einem jüdischen Kindertransport nach England geschickt und nach dem Krieg als Fußballer mit der Vienna Meister sowie Nationalspieler wurde, nicht treffen würde, es hat ihn aber in den vergangenen 30 Jahren auch nie davon abgehalten, seine politischen Meinungen und Analysen mit permanenter Heftigkeit zu formulieren.

Angefangen hat alles im Internat, wo Menasse Dostojewskis "Die Dämonen" gelesen hat, schnell war ihm klar: "Ich will das auch können." Zunächst allerdings studierte der Mitbegründer der Studentenzeitschrift "Zentralorgan herumstreunender Germanisten" Philosophie, Geschichte und Germanistik. Nach einer Dissertation über den "Typus des Außenseiters im Literaturbetrieb" lehrte Menasse in São Paulo am Institut für Literaturtheorie. Seit seiner Rückkehr nach Wien, die dem Wahlbrasilianer und Halbbruder von Eva Menasse nicht leichtfiel, ist er freier Schriftsteller.

Neben sechs großen Zeit- und Gesellschaftsromanen, die den Einzelnen im Handgemenge mit der historischen Realität zeigen, hat der 63-Jährige unzählige Essays und Streitschriften publiziert. Das Themenspektrum des an Hegels Dialektik geschulten Autors reicht dabei von Freud und Leid der Sozialpartnerschaft über Auseinandersetzungen mit Österreich als Land des "Entweder-und-oder" bis zur Europäischen Union, mit der er sich intensiv befasste. Etwa in seiner antinationalistischen Streitschrift "Der Europäische Landbote". Oder eben in seinem jetzt mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman "Die Hauptstadt", der im Milieu der Brüsseler Bürokratie spielt, wobei in dem Buch auch ein KZ-Überlebender, eine Altenpflegerin, ein Politologieprofessor und ein entlaufenes Schwein vorkommen.

Menasse, er ist verheiratet und Vater einer Tochter, bezog für die Recherche vier Jahre lang eine Wohnung in Brüssel. Der passionierte Raucher und Facebook-Nutzer sagte einmal, er habe auf seinem Tisch "lauter Unvollendete", lauter "Neunte Symphonien" liegen. Eine hat er mit "Die Hauptstadt" nun abgeschlossen. (Stefan Gmünder, 9.10.2017)