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In Valencia wurde am Montag für die Unabhängigkeit Kataloniens demonstriert.

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Gegen 18 Uhr will Regierungschef Puigdemont (Mitte) eine Rede im Regionalparlament zur "aktuellen politischen Lage" halten.

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Auch Demonstrationen sind für den Abend angekündigt – Einsatzkräfte sicherten schon am Dienstagvormittag das Regionalparlament in Barcelona.

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Lehnte bisher jedes Dialogangebot ab: Spaniens Premier Mariano Rajoy.

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Am Dienstag um 18 Uhr tritt der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont vor das Autonomieparlament. Das geschieht auf eigenen Wunsch, um "die aktuelle politische Lage" zu debattieren. Das ist schon alles, was klar ist. Der Rest sind offene Fragen und Befürchtungen. Mit Spannung wird – nicht nur in Madrid, sondern auch in Katalonien selbst – erwartetet, ob Puigdemont die Unabhängigkeit ausruft.

"Wir werden anwenden, was das Gesetz vorsieht", erklärte Puigdemont im Vorfeld der Parlamentssitzung, die ursprünglich für Montag vorgesehen war, aber auf Antrag der Sozialisten vom Verfassungsgericht suspendiert wurde. Denn anders als jetzt war auf der Tagesordnung nicht von der "aktuellen politischen Lage", sondern von der Bewertung des Ergebnisses der Volksabstimmung über die Unabhängigkeit der nordostspanischen Region die Rede gewesen.

90,2 Prozent hatten am 1. Oktober für eine Republik Katalonien gestimmt. An der Abstimmung beteiligten sich 43 Prozent trotz Verbots durch die spanische Justiz und unter erheblicher Polizeigewalt. In den Gegenden, in denen die Polizeieinsätze ausblieben, fanden deutlich mehr als 50 Prozent den Weg an die Urnen. Das katalanische Gesetz zur Volksabstimmung, das vom Verfassungsgericht für unrechtmäßig erklärt wurde, sieht vor, dass Puigdemont binnen 48 Stunden nach dem endgültigen Ergebnis die Unabhängigkeit ausrufen muss. Das Endergebnis wurde bereits am Freitag verkündet.

Uneinigkeit bei Separatisten

Alles deutet darauf hin, dass es hinter den Kulissen unter den Unabhängigkeitsbefürwortern knirscht. Während die antikapitalistische Kandidatur der Volkseinheit (CUP), die die Minderheitsregierung von Puigdemont und dessen Wahlbündnis "Gemeinsam für das Ja" (JxSí) unterstützt, eine sofortige Unabhängigkeit will, zeigte sich der katalanische Präsident in den vergangenen Tagen eher zögerlich. Seine Demokratisch-Europäisch-Katalanische Partei (PdeCat) stellt den konservativen Flügel im Regierungsbündnis "Gemeinsam für das Ja". Der andere Partner, die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) um Vizepräsident Oriol Junqueras, neigt eher der CUP zu.

Immer wieder sprachen Puigdemont und einige seiner Minister von Dialog und internationaler Vermittlung. Denn der Druck auf Katalonien erhöht sich seit immer mehr namhafte Unternehmen ihren Sitz in andere Regionen Spaniens verlegen. Der konservative spanische Ministerpäsident Mariano Rajoy lehnt jedweden Dialog ab.

Mehrere hochrangige Mitglieder der PdeCat brachten in den letzten Tagen unterschiedliche Szenarien ins Spiel. So etwa eine Art "symbolische" Unabhängigkeitserklärung, die keine unmittelbare Folgen hätte, aber ein Fernziel darstellt, auf das Puigdemont und die Seinen dann hinarbeiten und hinverhandeln. Eine solche Lösung legte Marta Pascal – Chefkoordinatorin der JxSí – in einem Interview mit der britischen BBC nahe.

Such nach internationaler Unterstützung

Eine andere Möglichkeit wäre ein Verfahren ähnlich wie einst in Lettland, so ein Europaabgeordneter der PdeCat: eine Unabhängigkeit, die dann erst einmal ausgesetzt wird, um internationale Unterstützer zu sammeln. Der Sender TV3 berichtete etwa, dass zumindest heute Abend noch nicht die Unabhängigkeit Kataloniens ausgerufen wird. Puigdemont wolle kein konkretes Datum für die Unabhängigkeit nennen, aber das Ergebnis des Referendums als Basis nehmen, das Recht Kataloniens zu begründen, schon bald die Loslösung von Spanien in die Wege leiten zu können.

Bisher hat Puigdemont kein Glück mit internationalen Unterstützern. Frankreich stellte sich in den vergangenen Tagen ebenso wie Deutschland und die EU-Kommission hinter die Zentralregierung in Madrid. Kritik an dem dort regierenden Rajoy gab es, wenn überhaupt, nur wegen des unverhältnismäßigen Polizeieinsatzes am 1. Oktober.

Wenn Puigdemont am Dienstagabend vor das katalanische Parlament tritt, werden ihn die Befürworter einer sofortigen Unabhängigkeit keinen Augenblick aus den Augen lassen. Die Organisation "Katalanische Nationalversammlung" (ANC), die das Rückgrat der Unabhängigkeitsbewegung bildet, ruft die Menschen zu einer Versammlung vor der katalanischen Volksvertretung, um Druck aufzubauen. "Glaubwürdigkeit und Würde legen eine Unabhängigkeitserklärung nahe", erklärt der ANC-Vorsitzende Jordi Sànchez.

Entmachtung und Ausnahmezustand drohen

Eines ist klar: Sollte Puigdemont die sofortige Unabhängigkeit ausrufen, wird die Zentralregierung in Madrid den Artikel 155 der spanischen Verfassung anwenden. Dieser sieht vor, dass die Autonomieregierung entmachtet und die Region direkt von Madrid aus regiert wird. Sollte das nicht reichen, würden weitere Schritte folgen, erklärte Rajoy. So mancher in Spanien wertet das als die Androhung des Ausnahmezustands. Rajoy genießt dabei die volle Unterstützung der sozialistischen PSOE und der rechtsliberalen Ciudadanos. Von den landesweit agierenden Parteien fordert nur die linksalternative Podemos einen Dialog.

Besonders deutlich wurde am Montag der Vizepräsident und Sprecher von Rajoys Partido Popular, Pablo Casado: Wer die Unabhängigkeit erkläre, "endet womöglich so wie derjenige, der sie vor 83 Jahren erklärt hat", drohte er Puigdemont vor der Presse. 1934 hatte der Regierungschef Kataloniens, Lluís Companys, einen unabhängigen Staat ausgerufen. Die gesamte katalanische Regierung wurde daraufhin verhaftet. Später floh Companys nach Frankreich. Die Gestapo lieferte ihn nach dem Einmarsch an Spanien aus. Companys wurde 1940 nach einem Schnellverfahren unter der Diktator von General Franco standrechtlich erschossen. (Reiner Wandler aus Madrid, 10.10.2017)