Außenminister Boris Johnson gilt als Galionsfigur der Brexit-Befürworter. Weil er wegen seiner Amtsführung in die Kritik geraten ist, schießen sich seine Anhänger nun auf andere Minister in der eigenen Regierung ein.

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Dass die Briten gern, wenn auch nicht immer erfolgreich Ball spielen, hat sich in ihrer Sprache niedergeschlagen. Der Ball sei nun aufseiten der EU, teilte Premierministerin Theresa May am Montagnachmittag dem Unterhaus mit. Schließlich habe sie mit ihrer Rede in Florenz den verbleibenden 27 Mitgliedern Zugeständnisse gemacht. Die Antwort aus Brüssel ließ nicht lange auf sich warten: Der Ball sei noch immer ganz und gar bei den Briten – einmal abgesehen von der Tatsache, dass es sich bei den Brexit-Verhandlungen um kein Ballspiel handle.

Zum Auftakt der jüngsten Gesprächsrunde bleiben die Partner diesseits und jenseits des Ärmelkanals also bei ihren Positionen. Damit sorgen sie zunehmend für Verzweiflung in der Wirtschaft. Andrea Orcel vom Londoner Investmentgeschäft der Schweizer Großbank UBS mahnte kürzlich dazu, er brauche eine Vereinbarung bis März des kommenden Jahres. Sonst werde es zu einer "erheblichen" Abwanderung aus der City of London kommen. Britische Lobbyverbände argumentieren, das Zeitfenster sei noch kleiner: Um Planungssicherheit zu haben, müssten Finanzvorstände bis Ende dieses Jahres wissen, woran sie sind.

Deutsche Industrie erwartet "sehr harten Brexit"

Auch auf dem Kontinent herrscht Alarmstimmung: Die verbleibenden EU-Mitglieder sollten sich auf "einen sehr harten Brexit" einstellen, mahnte vergangene Woche Joachim Lang vom Bundesverband der Deutschen Industrie. Gemeint ist damit ein ungeordneter Austritt der Briten aus Binnenmarkt und Zollunion im März 2019 ohne eine Anschlussvereinbarung, die den reibungslosen Waren- und Dienstleistungsverkehr regelt. Londons Hoffnung, Deutschland werde der Insel schon entgegenkommen, stellt sich zunehmend als Illusion heraus.

Offenbar pocht insbesondere Deutschland darauf, dass die Briten klarer darlegen, was hinter einem von Mays Florenzer Kernsätzen steckt: Die Insel werde ihre "während der Mitgliedschaft eingegangenen Verpflichtungen einhalten". Genaue Zahlen werde man "zum jetzigen Zeitpunkt" nicht vorlegen, hat Brexit-Minister David Davis erklärt. Die brauche man auch nicht, erwidern Kenner der deutschen Position: "Aber wir müssen uns über die Berechnungsgrundlage einigen."

Die Brexit-Befürworter zündeln

Das Vertrauen in die Überlebensfähigkeit der May-Regierung ist auf dem Kontinent gering. Zumal der Streit in Kabinett und Fraktion nach dem desaströsen Tory-Parteitag munter weitergeht: Um von den scharf kritisierten Manövern ihrer Galionsfigur, Außenminister Boris Johnson, abzulenken, schossen sich zu Wochenbeginn die EU-Feinde auf ein anderes Schwergewicht im Kabinett ein: Finanzminister Philip Hammond stehe einem "erfolgreichen Brexit" im Weg und müsse daher gefeuert werden. Allen Ernstes wird von wichtigen Tories wie dem Ausschussvorsitzenden Bernard Jenkin behauptet, es gebe "keinen echten Grund, warum der Brexit schwierig oder schädlich sein sollte"; in Wahrheit handle es sich um eine Verschwörung von EU, City of London und Industrieverbänden.

Premierministerin May forderte von den 27 EU-Mitgliedern ebenso wie von sich selbst erneut "Flexibilität und Führungskraft". Vor allem letztere Eigenschaft lässt die Regierungschefin freilich seit Monaten vermissen. (Sebastian Borger aus London, 10.10.2017)